IamNo: Web 2.0 fürs Real Life startet

Dieses Thema im Forum "Netzwelt" wurde erstellt von zwa3hnn, 28. März 2007 .

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  1. 28. März 2007
    Richtige Begeisterung kam bei der ersten Ankündigung von IamNo.com nicht wirklich auf. Der Offline-Flirt-Tag für die Kleidung plus Online-Datenbank der Nutzer kann natürlich zum Beginn von wunderbaren Freundschaften werden - aber er macht den User auch in der Offlinewelt zur per Netz identifizierbaren Nummer. Warum das alles trotzdem eine gute Sache ist und darüber hinaus einer gewissen Ironie nicht entbehrt, erklärten uns die Macher.

    Bzw. erklärten sie bereits auf dem 23. Chaos Communication Congress 2006. Durchaus doppeldeutig sei der Name gewählt worden, der mit den Bedeutungen "Ich bin Nummer ..." und "Ich bin keine (#Nummer)" spielt. Einige Fragen und einige Antworten zum nun gestarteten Dienst.

    Um mit den angenehmeren Fragen anzufangen: Wie ist der Start von Iamno verlaufen, wie viele Nummern habt ihr schon in der Datenbank und wann hofft ihr, eine kritische Masse zu erreichen, ab der es einigermassen realistisch wird, einen Iamno-Nutzer auf der Straße zu sehen? Und wie unterscheidet man euren Aufdruck von beliebiger postmoderner Beliebigkeit auf Shirts und Klamotten?

    Yves Brinkmann: Der Start von IamNo.com lief phantastisch: In den ersten 48 Stunden haben sich über 150 User angemeldet, die unsere Plattform seitdem intensiv in ihrem Freundeskreis weiterempfehlen. Bereits am zweiten Tag haben uns die Macher von trnd.com als neuen toptrnd aufgenommen. Das Feedback ist kontrovers, aber überwiegend positiv. Eigentlich genau, wie wir es uns gewünscht haben.

    Volker Neumann: Bald werden die Leute verstehen, dass IamNo.com online UND offline ein geniales Tool ist. Wir glauben, dass zuerst die Mutigen und Trendsetter mit ihren Nummern auf die Straße gehen, viele Leute werden dann folgen, wenn sie von anderen hören, dass man mit IamNo.com Shirts in der Masse der bunten Motive tatsächlich bemerkt wird. Wir haben die Offline-Komponente selbst getestet und wurden häufig auf unsere Nummern angesprochen. Je größer die Community ist, desto besser wird das natürlich bei allen Usern funktionieren.

    Aus meiner Mördergrube habe ich ja schon bei der ersten Ankündigung eures Dienstes kein Herz gemacht - die Ursprungsidee für euer Projekt ist ja durchaus romantisch besetzt, auf der anderen Seite seh ich da halt die Transformation des Alltags zur Singleparty. Ist das wirklich erstrebenswert?

    Volker Neumann: Das muss jeder selbst für sich entscheiden. Wir haben mit IamNo.com etwas geschaffen, das unserer Meinung nach auf einen real existierenden menschlichen Bedarf reagiert. Jedem ist es schon mal passiert, dass er jemanden interessant fand, aber es gerade einfach nicht passte, diese Person anzusprechen. Mit unserer Idee kann man diese Leute endlich wiedersehen. Es liegt sicher eine romantische Komponente darin, wenn man den- oder diejenige dann heiratet und eine Familie gründet.

    Yves Brinkmann: IamNo.com ist aber gerade keine 0815-24/7 Single-Party, sondern eine Offline-Online-Community, die sich genau zwischen den Themen Dating und Social Networking positioniert. Alle anderen Portale sagen den Leuten "Loggt euch bei uns ein, unsere Site ist viel spannender als das echte Leben!". Wir sagen den Leuten das genaue Gegenteil: "Geht offline! Trefft Euch mit Freunden! Lernt neue interessante Menschen kennen und probiert mal eine ganz neue Art der Kommunikation aus!"

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    Ich sitz ja im Schlachthaus und werf mit Schweinen - schließlich renne ich selber gelegentlich mit einem "Korrupt - Boeses junges Fleisch"-Tshirt rum. Durch Kleinbloggersdorf wurde vor kurzem die Netzaufkleber-Sau getrieben, und da ist ja auch die Bereitschaft da, sich im Reallife als Netzperson zu outen und damit natürlich auch erreichbar zu machen. Zwei Fragen dazu - wie seht ihr die Chancen von einem Dienst wie eurem in einer Zeit, in der jeder sein Blog aufmachen und die URL auf sein T-Shirt drucken kann?

    Volker Neumann: Mit IamNo.com und seiner Nummer auf seinen Sachen outet man sich nicht primär als Internet-Jünger, sondern vielmehr als Mensch, der das Offline-Leben liebt und zur echten Vernetzung mit echten Menschen aus Fleisch und Blut bereit und imstande ist. Wenn man so will, ist IamNo.com die erste wirkliche "Offline-Online-Plattform" aller Zeiten.

    Zum zweiten - wie seht ihr die, ich nenns mal Gegenbewegung - bislang haben die Leute ihr Reallife ins Netz getragen und wurden dort transparent. Was ihr macht, was Netzaufkleber macht usw., ist der umgekehrte Prozess, man trägt eine Netzidentität ins Reallife. Seht ihr diesen Prozess als was positives, unausweichliches, fragwürdiges?

    Yves Brinkmann: Wir gehen davon aus, dass die Grenzen zwischen Online- und Offline-Welt spätestens in den nächsten 5–10 Jahren vollkommen verschwimmen werden, wir machen hier einen ersten wesentlichen Schritt.

    Volker Neumann: Bei aller Liebe zum Internet und seinen Möglichkeiten gerate ich am meisten nicht darüber ins Schwärmen, was alles online möglich ist, sondern mit Hilfe des Webs offline. So liegt für mich die eigentliche Faszination darin, dass das Internet die ganz reale Welt besser und menschlicher machen kann. Das Internet offline sinnvoll einzusetzen, wird die nächste große Revolution darstellen. IamNo.com ist ein kleiner Baustein auf diesem Weg, der Menschen einander wieder ein Stück näher bringt.

    Da wir uns ja auf dem 23c3 schon nett unterhalten haben, setz ich jetzt einfach mal zumindest große Affinität zu Themen und Aktivitäten des CCC voraus. Bei allem diskordianischen Auseinanderhalten: ist es nicht komisch, auf nem Hackerkonkress zu sein, wo ein beträchtlicher Teil des Publikums mit Stop RFID, "Bildaufzeichnungen verboten" und ähnlichen Messages auf den Tshirts rummrennt und selbst ein "Identifizier mich, schau im Netz nach mir nach" TShirt zu tragen?

    Yves Brinkmann: Auch wenn wir hier nicht zuviel vermischen wollen: Ich persönlich sehe Dinge wie den ePass, RFID, flächendeckende Videoüberwachung oder verschleierte Rasterfahndungen mit Hilfe der Hausbanken unter dem Deckmantel der Kriminalitäts- und Terrorismusbekämpfung wesentlich kritischer, als sich bei uns eine persönliche Nummer auszusuchen und diese gezielt steuerbar auf seinen Sachen zu zeigen. Bei IamNo.com bin ich jederzeit Herr der Lage, kann über Freigaben festlegen, wer was über mich erfahren darf. Am Flughafen mit dem Taschenmesser aus seinem Reisepass Dinge herauszuschneiden, ist dagegen nicht ganz so einfach. Insbesondere, weil man es sich hierbei nicht einfach aussuchen kann.

    Um den "ironischen" Aspekt noch mal nachzufragen: Ich bin keine Nummer, transportiert euer Name ja auch, aber klar, man ist ja auch keine, dahinter steckt ja ein Mensch, der trägt eben eine - ist das alles? Ich kann mir nicht helfen, das mag doppeldeutig sein und ein Stück weit selbstironisch, eure Namensgebung mag daher ein Glücksgriff sein, aber wo ist das Projekt auch kritisch in Bezug auf die fortgesetzte Selbstoffenlegung, den Trend zum sich immer und überall identifizieren?
    Ist der Aspekt das einzig subversive in Kontrast zur transparenten Überwachungsgesellschaft, und ist das nicht ein wenig mager? Ich meine, wie gesagt, der Alltag als Singleparty, das VL ins Reallife, das allgegenwärtige "Das bin ich, schlag mich nach", ist da ein ironisiertes "Ich bin eigentlich gar keine Nummer, und mein Tshirt kann ich ausziehen" nicht ein wenig dünn?


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    Yves Brinkmann: Wir sehen das mehrdimensional. IamNo.com steht gleichzeitig für "Ich bin eine Nummer" und "Ich bin keine Nummer" - darüber hinaus kann man es aber auch als "I am NO dotcom" lesen, frei übersetzt also "Ich bin kein Online-User". Das findest auch Du in unserem Slogan "Be a NoBody" wieder, der gleichzeitig "Sei ein Nummern-Körper" und "Sei ein Niemand" bedeutet.

    Damit spielen wir natürlich auf den aktuellen Privacy-Striptease an, dem nicht nur das jüngere Netzpublikum verfallen ist. Wir leben in einer Zeit, in der eine ganz extreme "jeder will ein Star sein"-Mentalität herrscht. Persönliche Bilder, Tagebücher, Videos usw. werden in der Hoffnung veröffentlicht, darüber ein riesiges Netzpublikum anzusprechen oder evtl. sogar in einem der dazugehörigen TV-Clips zu landen. Parallel versuchen Behörden und Regierung, mit einem sehr schleichenden Prozess nach und nach die Grundrechte der Informationellen Selbstbestimmung zu unterwandern. Wenn wir mit IamNo.com dazu beitragen, dass zu diesen Themen eine breitere öffentliche Wahrnehmung entsteht, ist uns das nur Recht.

    Volker Neumann: Bei IamNo.com entscheidet man sich bewusst, für das Erreichen anderer Menschen, ein in sich logisches System anzuerkennen. Man sagt freiwillig Ja, eine Nummer zu sein, weil man sich einen Nutzen davon erhofft, den im Übrigen jeder für sich selbst definiert. Der wesentliche Unterschied ist, dass man sich selbst zur Nummer macht und nicht von anderen dazu gemacht wird. Wer will, kann IamNo.com also auch als Statement gegen den eben von Yves beschriebenen Prozess der zunehmenden Durchleuchtung benutzen.
    IamNo.com-User sind NoBodies, weil sie es so wollen und nicht andere es ihnen verordnen.

    Was ich immer frage: Was wollt ihr von mir wissen, und was hab ich vergessen zu fragen, sollts aber unbedingt wissen?

    Volker Neumann: Wann geht Gulli offline?

    Hm. LexaT sagt, ich soll "Morgen" sagen, damit er mich anschließend als Lügner bezichtigen kann. Morgen. Immer erst morgen ;o)

    Volker, Yves, Danke fürs Interview und viel Erfolg mit IamNo.


    quelle: gulli untergrund news
     
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