Killerspiele? Frontal21-Bericht macht Spieler aggressiv

Dieses Thema im Forum "Netzwelt" wurde erstellt von Schmidt, 9. Mai 2007 .

  1. 9. Mai 2007
    Killerspiele? Frontal21-Bericht macht Spieler aggressiv
    Deutscher eSport-Bund kritisiert ZDF-Beitrag als einseitig und fehlerhaft

    Am 26. April 2005 - dem dritten Jahrestag des tödlichen Amoklaufs eines Schülers in Erfurt - hat das ZDF-Politmagazin Frontal21 wieder einmal die Spieleszene erzürnt - diesmal mit seinem Beitrag "Gewalt ohne Grenzen - Brutale Computerspiele im Kinderzimmer". Im Chat zur Sendung, auf verschiedenen spielezentrierten Websites und nun auch seitens des deutschen eSport-Bundes (esb) hagelte es Kritik an der reißerischen Aufmachung des Berichts sowie an dessen Kernaussagen. PC- und Videospiele würden aggressiv machen und die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) nicht funktionieren.
    'Killerspiele' im Kinderzimmer?
    'Killerspiele' im Kinderzimmer?
    Der eSport-Bund (esb), der noch junge deutsche Dachverband für die Gaming-Szene, begrüßt zwar die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit PC- und Videospielen, wehrt sich aber gegen die einseitige Darstellung von PC- und Videospielen als "Gewaltdroge für Underdogs". Vielmehr seien Spiele ein weit verbreitetes Massenmedium. Deshalb könne man die Kernaussagen des Frontal21-Beitrages nicht unkommentiert lassen, da sie in wesentlichen Bereichen nicht der Realität entsprächen.

    Während in der Anmoderation des Beitrages zwar auf eine "gespaltene" wissenschaftliche Sicht "über die Folgen" des Spielens von den "Gewalt- bzw. Killerspielen" - wie sie die Frontal21-Redaktion nennt - hingewiesen wurde, kamen im Filmbeitrag ausschließlich zwei Psychologen zu Wort, die einen eindeutigen Zusammenhang zwischen Spielen und realer Gewalt sehen.

    Wissenschaftler wie Manfred Spitzer von der Universitätsklinik für Psychiatrie in Ulm hätten nun widerlegt, dass Spiele keine Auswirkungen auf die Psyche hätten - denn Spiele sollen sehr wohl gewaltbereit und aggressiv machen. Anders lautende Studien wischten die zitierten Experten mit den Worten weg, dass auch die Tabakindustrie seit 40 Jahren erfolglos versuchen würde, mit ihren Studien die durchs Rauchen entstehenden Gesundheitsschäden widerlegen zu wollen.

    Prof. Dr. Dr. Spitzer - machen Spiele gewalttätig?
    Zitat Spitzer: "Also, da muss man sehr klar sagen, dass es diese Zusammenhänge gibt und dass die auch erforscht sind. Wir wissen heute, dass virtuelle Gewalt entweder passiv übers Fernsehen rezipiert wird oder noch schlimmer, aktiv eingeübt am Videospiel, tatsächlich gewalttätig macht." Im ZDF-Beitrag wird er allerdings noch deutlicher: "Ein friedfertiger Mensch, der viel Videospiele spielt, ist am Ende gewaltbereiter als ein eher gewaltbereiter Mensch, der gar nichts spielt. Das ist nachgewiesen." Diese Thesen Spitzers sind nicht neu, auch dem Fernsehen attestierte er bereits, nicht nur diejenigen gewalttätig zu machen, die hierzu ohnehin neigen, sondern auch diejenigen, die eigentlich nicht zu Gewalttätigkeiten neigen würden.

    An diesem Punkt gibt es aber in der Wissenschaftswelt durchaus unterschiedliche Ansichten und verschiedene Versuchsaufbauten. Der esb kritisiert deshalb, dass Frontal21 Untersuchungen mit anders lautenden Ergebnissen verschwieg, wie beispielsweise Dr. Manuel Ladas in 2002 veröffentlichte Dissertation "Brutale Spiele(r)? - Wirkung und Nutzung von Gewalt in Computerspielen". Demzufolge sei derzeit eine allgemein gültige Aussage über die Wirkung von Gewalt in Computerspielen nicht möglich - wer Gewalt in Spielen ausübe, mache dies notwendigerweise nicht auch im realen Leben. Genau so wenig dürfte sich verallgemeinern lassen, dass durch virtuelles Ballern die Probleme des alltäglichen Lebens vergessen werden können.

    Als Beleg für den direkten Zusammenhang zwischen Computerspielen und Gewalt sah das Frontal21-Team auch wütende und unverhältnismäßig aggressive Leserbriefe zu früheren Frontal21-Sendungen zum gleichen Thema wie den Beitrag "Gemetzel im Kinderzimmer" vom 9. November 2004. Dabei könnte die durch den durchaus provokanten Fernsehbeitrag erzeugte aufgeregte Stimmung auch als mediale Gewalt gegen die Spieleszene an sich betrachtet werden. Wer lässt sich schon gerne zum latenten Amokläufer abstempeln, nur weil er Shooter spielt? Da hilft es dann auch nicht viel, nach der Sendung im Chat zu relativieren, dass es nur um das Aufzeigen von Problemen mit Gewaltspielen geht, wenn die Sendung die Spieleszene zu etwas Bedrohlichem werden lässt.

    Im überlaufenen Chat zum Beitrag stellten sich die Autoren, Rainer Fromm und Thomas Reichart, im Anschluss an die Sendung den kritischen Fragen und verwiesen auf die Studien, auf die sie ihre Thesen stützten. Fromm sieht durchaus Zusammenhänge zwischen Erfurt, Littleton und anderen von Medien oft vorschnell in Verbindung mit Computerspielen gebrachten Amokläufen. Für ihn sind sie damit ein weiterer Beweis für die negative Wirkung von brutaleren Spielen. Mögliche soziale, psychische oder sonstige persönliche Hintergründe der Täter wurden im Chat aber selbst auf Nachfrage nicht angesprochen, man blieb bei monokausalen Erklärungen.

    Weiterer Leserbrief an Frontal21
    An anderer Stelle im Beitrag von Frontal21 heißt es: "Die meisten Brutalspiele sind nicht indiziert und dürfen frei verkauft werden". In der Vorschau auf Frontal21 fasste ZDF-Moderator Theo Kroll den Beitrag als "Killerspiele für Kinder" zusammen. Mit solchen Formulierungen wird laut esb der Eindruck erweckt, dass solche Spiele für Kinder und Jugendliche im Handel frei erhältlich sind - unabhängig von der Altersfreigabe durch die USK. Weiterhin entstehe fälschlich der Eindruck, dass die Mehrzahl der PC- und Videospiele jugendgefährdenden Inhalts seien - von allen im Jahr 2004 von der USK geprüften Spielen seien jedoch nur rund vier Prozent mit der Einstufung "ab 18 Jahre" versehen worden und hätten keine Jugendfreigabe erhalten.

    Ein erheblicher Teil der in Deutschland verkauften Spiele waren laut der Spielebranche Sport- oder Strategiespiele ohne Gewaltdarstellung. Auf einer am 28. April 2005 stattgefundenen Podiumsdiskussion der Süddeutschen Zeitung in München gab der auch im Frontal21-Bericht interviewte EA-Geschäftsführer Jens Uwe Intat an, dass die im Jahr 2004 drei in Deutschland meistverkauften Titel seines Unternehmens mit je 600.000 bis 700.000 Einheiten Simulationen (Die Sims 2) und Sportspiele (z.B. FIFA Football) gewesen seien. Der erfolgreichste Shooter von EA habe im gleichen Zeitraum nur 50.000 Exemplare umgesetzt, die Konkurrenz war hier mit Doom 3 (über 100.000 Stück) und vor allem mit Half-Life 2 (über 200.000 Stück) allerdings auch etwas erfolgreicher.

    ... und noch einer
    "Täglich messen sich Computerspieler in Ligen und Turnieren und tragen sogar Deutsche Meisterschaften aus, und zwar nicht nur in Ego-Shootern, sondern vor allem in Sport- und Strategiespielen. Der sportliche Charakter von PC- und Videospielen, oder besser gesagt e-Sport, wurde im Film nicht einmal am Rande erwähnt. Der Bericht von Frontal21 diffamiert einen großen Teil der Computerspieler und hilft nicht, die Allgemeinheit objektiv zu informieren", klagt der esb, dem es in Bezug auf Frontal21 vor allem um eine objektivere Berichterstattung und Aufklärung geht.

    Frontal21 bemängelt vor allem, dass zu wenig Spiele indiziert werden - und Spiele, die auf der Packung mit Gewalt werben, frei an Jugendliche verkauft werden dürfen. Damit kritisiert man im Grunde auch die USK als zu lasch, die es sich selbst auf die Fahne geschrieben hat, die Titel im internationalen Vergleich sehr genau und hart zu beurteilen. Wenn ein Titel mal keine Altersfreigabe und somit auch kein USK-Siegel erhält, darf er zwar an Volljährige verkauft werden, verliert aber den Indizierungs- und Verbotsschutz gegenüber der BPJM. Ein indizierter Titel darf weiter an Volljährige verkauft werden, da aber Werbung und offenes Ausstellen im Geschäft dann verboten sind, bedeutet dies in der Regel den wirtschaftlichen Tod des Spiels. Deshalb werden indizierungsgefährdete Spiele selten auf den Markt gebracht. Wenn die Zahl der Indizierungen sinkt, ist das also noch lange kein Indiz für eine laxe USK. Die USK bewertet Spiele nach einem Kriterienkatalog, anhand dessen die Alterseinstufung vorgenommen wird - die Gründe für eine jeweilige Bewertung können bei der USK erfragt werden.

    Unabhängig von der Härte der USK-Prüfung für Spiele und davon, ob der Handel die jeweiligen Verkaufsauflagen beachtet, gibt es ein Problem, das den Jugendschutz weitgehend aushöhlt: Beim Tauschen von Originalen oder Raubkopien per Datenträger oder Internet werden Minderjährige kaum auf die Altersfreigabe achten - und wenn, dann dient diese eher als Indikator dafür, wie aufregend im Sinne des "Reizes des Verbotenen" ein Spiel oder ein Film sein könnte. Dieses Problem ist auch der USK bekannt, wie diese in der Vergangenheit schon gegenüber Golem.de betonte, doch eine einfache Lösung wird trotz der Kenntnis vermutlich niemand aus dem Hut zaubern können - zumindest keine, die nicht an einen orwellschen Überwachungsstaat grenzen würde.

    Prof. Dr. Lukesch - vergleicht Spiele- mit Tabakindustrie
    Die Spiele-Branche engagiert sich selbst für die Aufklärung im Umgang mit PC- und Videospielen, aber im Kinderzimmer hat auch sie wenig Einfluss - "dieses obliegt den Eltern", so der esb. Daher zähle die Förderung von Medienkompetenz zu den wichtigsten Aufgaben der Gesellschaft. Es sei gerade die Aufgabe eines öffentlich rechtlichen TV-Senders, Eltern zu informieren und zu animieren, genau zu beobachten, womit sich ihre Kinder beschäftigen.

    "Das schließt alle Medien ein und darf sich nicht nur auf PC- und Videospiele erstrecken. Kinder kommen heutzutage unweigerlich mit Massenmedien und damit auch mit PC- und Videospielen in Berührung. Eltern kennen die Spiele und Filme meist nicht und scheinen damit überfordert zu sein. Als Folge werden Kinder allzu oft mit ihrem Medienkonsum allein gelassen", so der esb weiter.

    Mit seiner Art der Berichterstattung helfe Frontal21 aber dem deutschen eSport-Bund zufolge niemandem, "am allerwenigsten den Jugendlichen, für die wir alle eine Verantwortung haben". Der Dachverband der Gaming-Szene erhofft sich deshalb von Frontal21 einen konstruktiven und sachlichen Dialog über das Thema - auf Kritik stößt bei den Spielern vor allem, dass sich die Frontal21-Redakteure Fromm und Reichart bei ihren Recherchen bisher nicht an Verbände oder Clans gewandt haben.

    Spitzer, der recht deutliche Worte zu Gewaltspielen und auch Gewalt im Fernsehen spricht, hat in einem längeren Text die Aussagekraft von Studien selbst in Frage gestellt. Feldstudien in geschlossenen Gruppen wie etwa in Internaten würden sich nicht unbedingt auf die Gesamtbevölkerung, sondern auf Teilgruppen beziehen, von denen man unter Umständen annehmen könne, dass es sich um von vornherein aggressivere Kinder handele. "Dies wiederum schränkt die Verallgemeinerungsfähigkeit der Resultate ein", so Spitzer in seinem online nachzulesenden Beitrag "Gewalt im Fernsehen - Über den Zusammenhang von medialer und realer Gewalt".

    Nur Publisher EA wollte mit Frontal21 sprechen
    Wie Spitzer sein Weltbild - "gesehene Gewalt führt zu Gewalt" - dennoch wieder ins Lot bekommt, lässt sich im genannten Artikel zur aggressionssteigernden Wirkung von Gewalt im Fernsehen nachlesen: "Vernachlässigung als Kind, Aufwachsen in einer unsicheren Nachbarschaft, geringes Einkommen der Familie, geringes Ausbildungsniveau sowie psychiatrische Erkrankungen der Eltern korrelierten signifikant positiv mit dem Fernsehkonsum im Alter von 14 Jahren. Der Fernsehkonsum im Alter von 14 Jahren stand in einem signifikanten Zusammenhang mit späteren aggressiven Akten gegenüber anderen Personen, nicht jedoch mit späteren Diebstahlsdelikten, Brandstiftung oder Vandalismus, also nicht mit Kriminalität überhaupt." Man könnte also auch schlicht folgende Binsenweisheit darin erkennen: Fernseher und Computerspiele taugen nicht als Erziehungsersatz.

    Kommentar:
    Auch der neue Frontal21-Bericht zeigt ein altes Dilemma von Computerspielen: Berichte in Massenmedien nehmen sich des Themas vornehmlich dann an, wenn es entsprechend reißerisch präsentiert werden kann. Eine möglichst nüchterne und unvoreingenommene Berichterstattung liegt wohl nicht im Interesse der großen Publikumsmedien, denn das verspricht weder hohe Auflage noch Quote. Leider gewinnt man Zuschauer in der Prime-Time wohl eher durch Angst einflößende und Verunsicherung schürende Beiträge als durch aufklärende Dokumentationen.

    Solch einseitige Berichterstattung wie bei Frontal21 erzürnt dann nicht nur die Spiele-Branche, sondern natürlich auch ihre Kunden, die sich nicht grundlos kriminalisieren lassen wollen. Derweil können sich solche Berichte der Zustimmung einer großen Zielgruppe sicher sein, die sich nur selten mit diesem Thema befasst und sich über einfache Lösungen freut, wie sie dort präsentiert werden. Nach Lesart des Frontal21-Berichts verschwinden Gewaltprobleme unter Jugendlichen schlagartig, wenn nur keine Gewalt mehr in Computerspielen gezeigt wird. Das Thema Gewalt in der Gesellschaft ist allerdings zu komplex, als dass man dafür nur jeweils einen Verursacher verantwortlich machen kann. (ck)

    Killerspiele? Frontal21-Bericht macht Spieler aggressiv - Golem.de
     
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