demokratie und laizismus in der türkei

Dieses Thema im Forum "Politik, Umwelt, Gesellschaft" wurde erstellt von sinawali, 12. Mai 2007 .

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  1. 12. Mai 2007
    zum verhältnis von demokratie und laizismus, religion und fundamentalismus
    thema der woche bei der jungle



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  2. 12. Mai 2007
    AW: demokratie und laizismus in der türkei

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    Väter und Kinder
    Über eine unzureichende, widersprüchliche und autoritäre Modernisierung. von deniz yücel

    In jeder halbwegs modernen Gesellschaft existiert nicht nur die eine, gewissermaßen offizielle, mehr oder minder von allen geteilte Geschichtsschreibung, vielmehr pflegen verschiedene Milieus ihre jeweils eigenen Erzählungen. Doch mit einigem Abstand zu den Ereignissen verdichten sich diese zu einer kollektiven Erzählung, in der historische Antagonisten integriert werden und ihren Platz in der Geschichte zugewiesen bekommen. Zu den Besonderheiten der türkischen Gesellschaft gehört es, dass solche Verdichtungen, die immer auch ein Zeichen des gesellschaftlichen Ausgleichs sind, fehlen und offizielle und marginale Erzählungen unversöhnlich bleiben.

    Nevzat Tandogan, ein Prototyp des kemalistischen Bürokraten und zwischen 1929 und 1946 Gouverneur der Provinz Ankara, ist mit ein paar Sätzen in die linke, antiautoritäre Geschichtsschreibung eingegangen: »Was bildet ihr anatolischen Hornochsen euch ein?« fuhr er im Mai 1944 einen gewissen Osman Yüksel Serdengeçti an, einen der Vordenker der »Türkisch-Islamischen Synthese«. »Was habt ihr mit Nationalismus oder Kommunismus zu schaffen? Falls der Nationalismus gebraucht wird, kümmern wir uns darum; falls der Kommunismus gebraucht wird, werden immer noch wir ihn einführen. Eure Aufgabe ist es, eure Felder zu bestellen und als Soldaten zu dienen, wenn wir euch rufen!«

    Auch wenn dieses »Wir« – die Armee, die Bürokratie, die Staatspartei CHP – damals eindeutiger zu bestimmen war, ist dieser Ausspruch charakteristisch für die autoritäre Selbstherrlichkeit der kemalistischen Bürokratie. Zugleich verdeutlicht er das Selbstverständnis einer Elite, die ihre Herrschaft mit dem Einsatz für den »Fortschritt « legi*timiert.

    Auch Hursit Tolon ist für gewöhnlich kein Mann, der Gefallen daran findet, wenn Menschen für politische Ziele demonstrieren. Dem pensionierten General, der im Vorfeld der »Kundgebungen für den Laizismus« eine wichtige Rolle gespielt hatte, konnte man sein Unbehagen anmerken, als er bei der Demonstration am letzten Sonntag des April in Istanbul zu Journalisten sagte, die Taubheit der Regierung mache solche Veranstaltungen leider erforderlich.

    Man könnte sich also darüber freuen, dass jene Tage vorbei sind, in denen die Armee mir nichts, dir nichts eingriff, wenn sie meinte, dass irgendwelche anatolischen Hornochsen sich zu sehr mit welchem Ismus auch immer beschäftigt hatten. Man könnte ebenso gut deprimiert zur Kenntnis nehmen, dass sich in diesem Land nichts ändert. Denn bereits frühere Staatsstreiche wurden vom Großteil der Bevölkerung gutgeheißen, selbst wenn sie, wie der Putsch des Jahres 1980, für Hunderttausende Gefängnis oder Exil und für einige Hundert den Tod bedeuteten.

    Wie einem Familienvater das Recht zugestanden wird, einem unartigen Kind die Ohren langzuziehen, gesteht die Gesellschaft der Armee das Recht zu, sie zu züchtigen, wenn sie zu arg über die Stränge geschlagen hat. Deshalb dürfte nach den Neuwahlen der von vielen europäischen Kommentatoren erwartete Sieg der AKP, die damit verbundene Bestätigung der jetzigen Machtverhältnisse und der große Showdown ausfallen. Abgesehen von dem Kern ihrer Anhängerschaft, die sie aus der islamistischen Milli-Görüs-Bewegung mitgenommen hat, dürften die übrigen Wähler der AKP die Lektion verstanden haben. Weniger vorhersehbar ist, ob der Kern der AKP nach den jüngsten Erfahrungen weiterhin an einem demokratischen politischen Islam festhalten oder zu seinem alten – und längst nicht völlig begrabenen – Fundamentalismus zurückkehren wird.

    Das obrigkeitsstaatliche Denken und die herausragende Rolle des Militärs haben die Gründer der modernen türkischen Republik, die allesamt aus der militärisch-bürokratischen Kaste stammten, aus dem Osmanischen Reich übernommen. Wenn man sich allein das Verhältnis von politischer und militärischer Staatsführung ansieht, könnte man sagen, dass sich seit den Tagen der Sultane nichts geändert hat und die kemalistische Revolution kaum mehr war als eine Fußnote der Geschichte. Demnach hätte sich die letzte Revolution im Jahr 1836 ereignet, damals, als Sultan Mahmud II. den Janitscharenorden auflöste, weil dieser militärische Eliteverband zu einflussreich geworden war. Danach ging es wie gehabt weiter: Immer wieder entledigte sich die militärische Führung der legitimen politischen Führung, nicht umgekehrt.

    Der einzige, der sich bemühte, die Armee in die Schranken zu verweisen, war der kon*ser*vative Ministerpräsident Adnan Menderes – gewiss seinen eigenen Interessen folgend, aber aus demokratietheoretischer Sicht nicht unberechtigt. Ähnlich wie heute ging es in erster Linie um einen Machkampf zwischen den städtischen kemalistischen Eliten und dem anatolischen Kleinbürgertum – wobei die heutigen Konfliktlinien nicht nur zwischen Stadt und Land, sondern auch zwischen den Zentren und den Rändern der Städte verlaufen.

    »Notfalls regiere ich dieses Land mit Reserveoffizieren«, drohte Menderes, und prompt fand sich im Mai 1960 ein Bündnis aus jungen, linken wie rechten Offiziere (darunter auch der spätere Führer der Grauen Wölfe, Alparslan Türkes), die ihn absetzten und im Jahr darauf gemeinsam mit zweien seiner Minister auf der Insel Imrali im Marmarameer hinrichten ließen – dort, wo Abdullah Öcalan seit acht Jahren einsitzt.

    Heute ist Menderes die wohl wichtigste Ausnahme von der eingangs beschriebenen Regel; er ist in die kollektive Erzählung eingegangen, freilich ohne dass seine Rehabilitation von einer Verurteilung der Putschisten begleitet worden wäre. Auf ihn berufen sich die Mitte-Rechts-Parteien ebenso wie die AKP, weshalb die vermeintlich linken Faschisten von der Zeitschrift Türk Solu über Recep Tayyip Erdogan die Parole ausgegeben haben: »Er ist gekommen wie Men*deres, er wird verschwinden wie Menderes.«

    Was aber ist mit dem Laizismus, was mit der republikanischen Nation? Man kann die Leistungen der Kemalisten sicher würdigen, jedoch nicht ohne Einschränkungen.

    Es ist hier nicht der Platz zu erörtern, welche Alternativen ihnen zur Verfügung standen, als sie vor dem Problem standen, als kleine, modernisierungsfreudige Elite mit einer hoffnungslos rückständigen Bevölkerungsmehrheit konfron*tiert zu sein. Jedenfalls suchten sie, ähnlich wie die Bolschewiki, den Ausweg in jakobinischen Mitteln. Die Kemalisten strebten keine bürgerliche Gesellschaft an, im Mittelpunkt ihres nation building stand nicht das Individuum, sondern der Staat und die Staatsnation. Um ihr Modernisierungsprogamm durchzusetzen, sahen sie sich dazu gezwungen, sich strikt von dem Vorgängerstaat abzugrenzen, dem Osmanischen Reich und damit von allem Islamischem und Arabischem.

    Analog zu ihren Vorbildern, die bei der Erfindung der deutschen Nation in »teutonischen Ur*wäldern« (Marx) fündig geworden waren, begaben sich türkische Historiker und Philologen in mystische zentralasiatische Gefilde. Zurück kamen sie mit der »Türkischen Geschichts*these« (Kernaussage: Die Wiege aller Zivilisation ist die zentralasiatische Heimat der Türken, frühhistorische Völker wie die Hethiter und Sumerer waren eingewanderte Turkstämme, ebenso die »Bergtürken«, also die Kurden) und mit der »Sonnensprachtheorie« (Kernaussage: Das Türkische ist die Ursprache der Menschheit).

    Kein Wunder, dass die offensichtlich nichttürkischen (und nicht muslimischen) Teile der Bevölkerung, die Armenier, Juden und Griechen nicht Anerkennung, sondern allenfalls auf Duldung hoffen durften. In den folgenden Jahren ließen Schikanen aller Art – von der Kopfsteuer der dreißiger Jahre bis zu den Pogromen vom September 1955 – diese Bevölkerung auf einen Rest schrumpfen.

    Einige extreme Auswüchse dieser Ideen werden heute zumeist belächelt, doch ihr Kern mitsamt der fließenden Übergänge von republikanischem zu völkischem Gedankengut hat sich erhalten. Noch in den neunziger Jahren war in – von der kemalistischen Schulaufsicht gebilligten – Schulbüchern folgendes zu lesen: »Bei der Entstehung einer Nation ist die Existenz einer einheitlichen Religion von großer Bedeutung. (…) Dieselbe Religion zu teilen, bringt die Individuen dazu, sich tolerant zueinander zu verhalten.« Der Mörder von Hrant Dink oder die Killer von Malatya sind eben nicht nur mit dem »Tal der Wölfe« im Fernsehen aufgewachsen, sondern auch mit solchem Lehrstoff.

    Die zitierte Stelle verweist zudem auf das Verhältnis der Kemalisten zum Islam. Gewiss waren die meisten der Männer um Atatürk säkular, wenn nicht atheistisch, so wie es die heutigen Linkskemalisten sind. Vor allem aber ging es ihnen darum, die Religion als Störfaktor für die Modernisierung auszuschalten. Deshalb wurden die Strukturen des »Volksislam«, allen voran die recht liberalen alevitischen Bruderschaften, verboten, die Ausübung des jüdischen und mehr noch des christlichen Glaubens erschwert, der sunnitische Hofislam aber unter staatliche Aufsicht und Förderung gestellt.

    In den fünfziger Jahren, mit der Einführung des Mehrparteiensystems und dem Antritt der konservativen Menderes-Regierung, die das anatolische Kleinbürgertum repräsentierte, wurden einige bleibende Korrekturen vorgenommen. So wurden die Osmanen in die Geschichtsschreibung der Republik integriert, zudem erfolgte eine politisch-ideologische Hinwendung zum Islam, nicht zuletzt deshalb, weil es den Kommunismus zu bekämpfen galt. Aus demselben Grund vollendeten die Putschisten von 1980 diese Entwicklung, als sie, der Maxime des alten Gouverneurs folgend, es für geboten hielten, die »Türkisch-Islamische Synthese« zur Staatsideologie zu machen. Sie verankerten den sunnitisch-islamischen Religionsunterricht als Pflichtfach in der Verfassung, bauten reihenweise Priestergymnasien und stellten diese den allgemeinbildenden Schulen gleich. Dass sie bald die Kontrolle über diese Islamisierung der Gesellschaft verlieren sollten und es mit einem erstarkenden politischen Islam zu tun bekamen, gehört zur unmittelbaren Vorgeschichte des heutigen Konflikts.

    Die Vermischung nationalistischer mit religiösen Motiven zeigt sich seit einigen Jahren insbesondere in der Hysterie um »Missionare«. Säkulare Professoren veranstalten Symposien über deren vermeintlich subversives Treiben, linkskemalistische Politiker agitieren gegen sie, auch bei der Laizismuskundgebung in Ankara Mitte April wetterten Redner gegen sie. Dass nur wenige Tage darauf in Malatya drei Protestanten ermordet wurden, mag ein Zufall sein. Aber die Mörder handelten nicht zuletzt deshalb, weil sie in der Existenz und erst recht in der Ausbreitung einer anderen Religion eine Gefahr für die »die Einheit der Nation« sahen.

    Am Wochenende beschlossen die beiden staatstragenden Mitte-Rechts-Parteien DYP und Anap zu fusionieren; die Mitte-Links-Parteien CHP und DSP wollen mit einem Bündnis antreten – beides hatte es seit der Wiederzulassung von Parteien im Jahr 1983 nicht gegeben. Gut möglich, dass der nächste Ministerpräsident Mehmet Agar heißt, der bisherige Vorsitzende der DYP. Ohne dass er sich je für irgendetwas hätte verantworten müssen, hat sich dieser Mann, einer der bekanntesten Führer der türkischen Konterguerilla, nachweislich weitaus mehr zuschulden kommen lassen als ein Erdogan, der wegen des Rezitierens einiger jihadistischer Gedichtzeilen über Minarette und Bajonette im Knast landete.

    Agar war ein hoher Polizeibeamter und Mitte der neunziger Jahre kurzzeitig Innenminister. Bei dem in Susurluk tödlich verunglückten faschistischen Mörder und Mafioso Abdullah Çatli, nach dem Interpol ebenso fahndete wie offiziell die türkischen Behörden, wurden gefälschte Ausweispapiere gefunden, die Agar unterschrieben hatte. Falls er tatsächlich Erdogans Nachfolge antreten sollte, wird man sagen können: Jede Gesellschaft bekommt die Repräsentanten, die sie wählt. Und manchmal auch die, die sie verdient. Die anderen aber blicken einer düsteren Zukunft entgegen. Auch so manche der heutigen Demonstranten.
     
  3. 12. Mai 2007
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    aus wiki

    Der Kemalismus (Atatürkçülük) bezeichnet die Gesamtheit der Ideen und Prinzipien Mustafa Kemal Atatürks. Er ist die Gründungsideologie der Republik Türkei.

    Versinnbildlicht wird diese durch die so genannten sechs Pfeile (Altı Ok), die für Republikanismus im Sinne von Volkssouveränität, Nationalismus als Wendung gegen den Vielvölkerstaat des osmanischen Zuschnitts, Populismus als Ausdruck einer auf die Interessen des Volkes, nicht einer Klasse gerichteten Politik, Revolutionismus im Sinne einer stetigen Fortführung von Reformen, Laizismus, d.h. Trennung von Staat und Religion, und Etatismus mit partieller staatlicher Wirtschaftslenkung stehen.

    Der Kemalismus ist seit 1931 auch zentraler Bestandteil des Parteiprogramms von Atatürks sozialdemokratischer Republikanischer Volkspartei (CHP), deren Emblem heute noch sechs Pfeile zieren.

    Heute betrachten sich vor allem die CHP, die Partei der Demokratischen Linken (DSP) und die Türkischen Streitkräfte als Vertreter des Kemalismus.

    die 6 pfeile

    Nationalismus

    Populismus

    Republikanismus

    Laizismus

    Etatismus

    Revolutionismus
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    die kombination aus etatismus und nationalismus ist ideal für die bidlung faschistischer staaten meiner ansicht nach
    und das attribut faschistisch ist sicher nciht das falscheste, wenn es den zustand der türkei zu beschreiben gilt
     
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