Mobilfunker hegen Wachstumsphantasien jenseits der 100-Prozent-Marke

Dieses Thema im Forum "Netzwelt" wurde erstellt von rainman, 12. Juni 2007 .

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  1. 12. Juni 2007
    "So schön wie beim Aufbau der GSM-Netze in den 1990er Jahren wird das Mobilfunkgeschäft nie wieder sein", prophezeite Friedrich Joussen, Chef von Vodafone D2 zum Auftakt der inzwischen 13. Handelsblatt-Jahrestagung Telekommarkt Europa, die bis Mittwoch, den 13. Juni, in Düsseldorf stattfindet. Joussen hat schon den Marktstart der damaligen Mannesmann Mobilfunk GmbH (D2) 1992 mitgeprägt und gibt sich optimistisch, dass die "europäische Revolution der Telekommunikation" fortdauern kann, wenn die Rahmenbedingungen stimmen – sprich: europaweit einheitliche Technik, pan-europäische Anbieter und "frei wirkende Wettbewerbskräfte". Von 1999 bis 2006 habe sich die im Mobilfunk erzielte Wertschöpfung mit 87 Prozent "fast verdoppelt". Während das deutsche Bruttoinlandsprodukt in dem Zeitraum gerade um 16 Prozent gewachsen sei, habe das Marktvolumen des Mobilfunks auf nunmehr rund 26 Milliarden Euro zugenommen und 430.000 Arbeitsplätze geschaffen. Dem stehe ein Marktvolumen im Festnetz von 30 Milliarden Euro gegenüber – freilich mit weitaus geringeren Margen.

    Um die Rückgänge bei Umsatz und Ertrag im abgelaufenen Geschäftsjahr wettzumachen, setzt der D2-Chef auf Wachstum auf Kombi-Angebote aus Festnetz und Mobilfunk der Konzerntochter Arcor oder auf Basis von breitbandigen HSDPA-Mobilfunkanschlüssen sowie auf "innovative Datenprodukte" wie Handy 2.0, das am 15. Juni gestartet wird. Mobile Alleskönner wie das GPS-fähige Nokia N95 sollen Traffic auf die UMTS-Netze bringen und die erheblichen Investitionen in den HSDPA-Ausbau einspielen.

    Kosten- und Kapazitätsgründe werden Joussen zufolge zu einer Ausdifferenzierung der Mobilfunkbranche führen – vergleichbar mit dem Wandel, der sich in den vergangenen beiden Jahrzehnten in der IT-Welt vollzogen habe: Vor 20 Jahren habe ein "vertikal integrierter" IT-Gigant wie IBM das gesamte Portfolio von Hardware, Betriebssystemen, Datentransfer und Applikation abgedeckt, während sich heute in jedem dieser Segmente spezialisierte Unternehmen einen spürbaren Wettbewerb lieferten. Diese "Entvertikalisierung" sagt der D2-Chef auch Mobilfunkriesen wie Nokia voraus: Bei Betriebssystemen für Mobilfunkgeräte konkurrierten bereits heute Systeme wie Symbian, Linux oder Windows Mobile mit proprietären Lösungen, und bei Applikationen drängten neben Newcomern etablierte Fixed-Internet-Größen wie Google oder eBay in die Mobilfunkwelt. Auch bei der Nutzung der Mobilfunk-Infrastruktur seien Kooperationen mit Anbietern ohne eigenes Netzs (MVNOs) oder auch Wettbewerbern wie E-Plus oder O2 denkbar: "Alles ist möglich, was Vodafone Mehrwert bringt, doch wer unsere Wertschöpfung stört, dem bleiben die Pforten verschlossen", erklärte Joussen gegenüber heise online. Mit Blick auf VoIP-Anbieter wie Skype schloss der D2-Chef einen "free-ride auf unserer IP-Infrastruktur" aus.

    Die Chefs der später als T-Mobile/D1 (zur Eröffnung des Telecom-Kongresses nicht mit einem Redner vertreten) und Vodafone/D2 gestarteten und bis dato nach Umsatz und Kundenzahl deutlich kleineren Netzbetreiber O2 Germany und E-Plus präsentierten deutlich voneinander abweichende Strategien im Kampf um das TK-Budget der Kunden. O2-Deutschland-Chef Rudolf Gröger, inzwischen auch im Board des spanischen Mutterkonzerns Telefonica vertreten, räumte ein: "Dass das Festnetz Verbindungsminuten zu zu Lasten des Mobilfunks zurückgewinnt, hatten wir nicht auf dem Schirm."

    Eine Ursache für den im Vergleich zum vierten Quartal 2006 ausgewiesenen Umsatzrückgang im ersten Vierteljahr 2007 sieht Gröger in der Beliebtheit von Flatrate-Angeboten im deutschen TK-Markt: Wer dem Kunden die erste Flatrate verkaufe, erobere beim Kunden die "Meinungsführerschaft", egal, ob es sich um ein Pauschalangebot für Fixed Internet oder um eine Flatrate für Festnetz-Telefonie handele. Im "lauten Mobilfunkmarkt" seien Emotionen ein wichtiger Faktor zur Kundenbindung. Vom Erfolg der Base getauften Mobilfunk-Flatrates von E-Plus und dem Kundenzuspruch für Discount-Angebote wie Simyo oder Aldi Talk im E-Plus-Netz zeigte sich Gröger beeindruckt, ersparte aber E-Plus-CEO Thorsten Dirks nicht den Seitenhieb, wie "überrascht" O2 über diese "Verzweiflungstaten" der Düsseldorfer Konkurrenz sei, die in kurzer Folge mehrere Führungswechsel zu verkraften hatte.

    Anstatt die Düsseldorfer Konkurrenz zu imitieren, setzt O2 auf Konvergenzprodukte aus Mobilfunk und Festnetz-DSL und baut dabei auf die Festnetzinfrastruktur von Telefonica Deutschland, die infolge der Übernahme von O2 durch Telefonica mit O2 Germany fusionierte. Gröger räumte ein, man habe zunächst die Komplexität des DSL-Geschäfts "dramatisch unterschätzt", die Firmenlogistik sei angesichts der Kundennachfrage überfordert gewesen. Diese Fehler habe man nun ausgebügelt, seit 1. Juni vermarkte O2 wieder aktiv DSL-Angebote. Die strategische Entscheidung für Konvergenzangebote sei jedoch völlig richtig gewesen, meint Gröger, der DSL als preiswerte Alternative zu UMTS bei Inhouse-Anschlüssen lobt und zu bedenken gibt, dass die Netzbetreiber selbst häufig UMTS-Picozellen zur Gebäudeversorgung per DSL an ihren Backbone anbinden.

    O2 will angesichts des verlangsamten Wachstums neuer Handyanschlüsse mit Serviceverbesserungen punkten und künftig jeden Kundenanruf direkt zu einem "lebenden Menschen" durchstellen. Ideal findet Gröger Verträge und Applikationen, die ohne umfangreichen "Beipackzettel" auskommen. Denkbar sei auch, dass O2 künftig von sich aus Kunden kontaktiere, um ihnen günstigere Tarife anzubieten. Bislang hätten die Mobilfunkanbieter gern die "sleeper revenue" eingestrichen – das heißt abgewartet, ob ein Kunde den Termin der automatischen Vertragsverlängerung übersieht, um so die Kosten für ein neues Endgerät als Treueprämie einzusparen.

    Die Zahl von 45 Mobilfunkmarken – MVNOs eingeschlossen –, die um die Gunst der deutschen Handynutzer buhlen, findet Gröger entschieden zu hoch und stößt damit auf entschiedenen Widerspruch von E-Plus. Thorsten Dirks bleibt auf der Linie seines Vorgängers Michael Krammer, E-Plus als enfant terrible oder challenger im Mobilfunkmarkt zu positionieren. Mit weiteren Nischenangeboten will Dirks gegen die derzeit "geringe Kundenloyalität" angehen und freut sich, dass E-Plus und seine Untermarken erfolgreich ein Image als Preisführer aufgebaut hätten.

    Kundenwünsche Nummer Eins bleiben mobile Sprachtelefonie und SMS, prognostiziert Dirks gestützt auf Markterhebungen. Geschickt positionierte Mobilfunk-Brands könnten schon mit wenigen 10.000 Nutzern profitabel sein; Dirks nennt als Vorbild andere gesättigte Branchen wie die Autoindustrie: Hätten die Hersteller früher nur Pkw und Kombis angeboten, setzten sie heute auf ein wachsendes Angebot von Nischenmodellen. Hingegen hätten die Carrier die Kunden bisher nicht wirklich vom Nutzen neuer Technologien überzeugen könnten. In der Vergangenheit seien neue Dienste zu oft einfach "über den Zaun geworfen" worden, ohne eine genaue Bedarfsanalyse durchzuführen.

    "Mobile Advertising" hat der E-Plus-CEO als Zukunftstrend ausgemacht. 2006 habe das Gesamtmarktvolumen für Werbung bei 30 Milliarden Euro gelegen. Ausgabensteigerungen für Online-Werbung belegten, dass die Werber nach Medien suchen, in denen sie ihre Botschaften zielgenauer als per Print-Anzeige oder TV-Spot platzieren könnten. Das Handy gehöre als neben Schlüsselbund und Brieftasche zu den Gegenständen, die man immer dabei habe und sei als "interaktives Medium" ideal für Reklamezwecke. Werbeeinblendungen vor oder während eines Telefonats will Dirks den Handynutzern ersparen, entsprechende Versuche von Festnetzanbietern seien erfolglos geblieben, sagte Dirks auf Nachfrage von heise online. Aber: Eine Gutschrift von Freiminuten könnte Nutzer dazu bewegen, Werbung über andere Kanäle wie SMS oder MMS zu akzeptieren. (Sven-Olaf Suhl) / (jk/c't)

    Quelle:http://www.heise.de/newsticker/meldung/90989
     
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