Warum Palistinänser zu Selbstmordattentäter werden

Dieses Thema im Forum "Politik, Umwelt, Gesellschaft" wurde erstellt von sean-price, 14. September 2007 .

  1. 14. September 2007
    Original in der Israelischen Zeitung Haaretz nachzulesen, Übersetzung von Weichenhan-Mer.

    Totgeschlagen

    Von Gideon Levy

    Quelle: Haaretz, 10.08.2007

    Das Taxi nach Bethlehem hatte sich verspätet und Jihad Sha'ar wartete weiter an der staubigen Haltestelle in der Nähe seines Dorfes Tekoa. Woran hat er gedacht, dort unter dem glühend heißen Blechdach? Er war unterwegs zur Offenen Universität in Bethlehem, um sich für das kommende Studienjahr einzuschreiben. Sein Vater sagt, er habe sich noch nicht entschieden, was genau er studieren wollte. Vielleicht dachte er darüber nach, als er dort an der Haltestelle wartete, Schutz suchend vor der brennende Wüstensonne.

    Und woran dachten die Soldaten, die ihn schlugen, totschlugen, mit Schlagstöcken, Gewehrkolben, und Tritten auf seinen Kopf, so die Augenzeugen, bis er seine Seele aushauchte? Kann es sein, dass er versuchte, sie mit einem Messer zu attackieren, das die beiden Augenzeugen nicht gesehen haben? Auch wenn es so war, warum fuhren sie fort, wütend auf ihn einzuschlagen, nachdem er schon bewusstlos auf dem Boden lag, vielleicht schon gefesselt, wie eine Augenzeugin uns erzählte? Und nach all dem, warum beeilte sich die israelische Armee, diesen schwerwiegenden Vorfall zu den Akten zu legen, „nach einer ersten Untersuchung“, in der keiner der Augenzeugen befragt wurde, mit dem Kommentar: „Die Soldaten verhielten sich korrekt.“ ? Welche Korrektheit ist gemeint, wenn Soldaten einen jungen Mann totschlagen und die Armee sie ohne ernsthafte Untersuchung von jeder Verantwortung losspricht? Und welch monströses Verhalten ist es, das einen bewegt, den Vater dieses jungen Mannes im Angesicht seines geschlagenen, sterbenden Sohnes mit Handschellen zu fesseln, und ihn so wie ein gebundenes Tier auf dem Boden liegen zu lassen?

    Der Computerbildschirm zeigt Bilder vom Tod. Am Todestag wurde behauptet, Jihad sei durch einen Schlag mit dem Schlagstock zu Tode gekommen. Wer die Bilder aus dem Krankenhaus gesehen hat, weiß, dass das so nicht sein kann: Das ruhige, zerschlagene Gesicht des jungen Mannes und sein Hinterkopf weisen drei Löcher auf. Keine tiefen Wunden. Auf einem anderen Bild sieht man den verwaisten Vater, Mitarbeiter in einem Betrieb für Olivenholz-Schnitzereien in Bethlehem, wie er mit nach hinten gefesselten Händen auf dem Boden kniet. In seinem Gesicht spiegeln sich verhaltener Schmerz und Demütigung; neben ihm steht ein Soldat mit gezückter Waffe. Die Aufnahme eines Passanten. Alles im Computer gespeichert. Das Haus steht im Dorf Tekoa am Rande der Wüste, einem Dorf mit Steinhäusern am Berg gegenüber der Ausgrabungsstätte Herodeion und der [jüdischen] Siedlung Tekoa.

    Khalil, der Olivenkreuz-Schnitzer mit dem von Trauer gezeichneten Gesicht, ist ein sanfter, ruhiger Mann. Die Leute sagen, sein Sohn sei genau so gewesen. Einen Tag nach dem Vorfall stand in der israelischen Presse zu lesen, dieser selbe Sohn sei seelisch zerrüttet, vielleicht sogar geistig zurück geblieben. Weit gefehlt - schlecht fabriziert. Im vergangenen Schuljahr hatte Jihad sich hinter die Verbesserung seiner Abschlussnoten geklemmt, sein Abitur gemacht und wollte sich jetzt in der Offenen Universität Jerusalem in Bethlehem einschreiben.

    Am Donnerstag, den 27.Juli, ging bei ihm zu Hause alles wie gewöhnlich zu. Bruder Hussein machte sich auf zum Innenministerium in Bethlehem, um dort etwas zu erledigen, die Mutter der Familie brach auf zu einem Familienbesuch, und Jihad machte sich auf den Weg zur Universität, um dort die nötigen Formalitäten zu erledigen. Nichts wies darauf hin, was sich kurze Zeit später ereignen sollte. Jihad ist - wie alle anderen Mitglieder seiner Familie - nie festgenommen worden. In dieser Gegend ist es überhaupt verhältnismäßig ruhig, wenn man von den lästigen Patrouillen der israelischen Armee absieht.

    Um 9:30 Uhr morgens verließ Jihad das Haus und ging zur wenige hundert Meter entfernten Sammeltaxi-Haltestelle an der Straße nach Bethlehem. Sein Vater, der zu Hause war, meint, Jihad habe nichts bei sich gehabt. Am Wegesrand, wenige Dutzend Meter von der Haltestelle wartete schon das gepanzerte Militärfahrzeug. Dort steht fast immer ein „Hummer-Jeep“ , als eine Art mobil einsetzbarer Checkpoint für das relativ ruhige Dorf. Personalausweise werden geprüft, man wird geärgert und gedemütigt, die Ordnung der Besatzung wird aufrecht erhalten.

    Jihad stand allein an der Haltestelle. Anscheinend riefen ihn die Soldaten, zu ihnen zu kommen. Der palästinensische Polizist Moussa Sliman aus dem Dorf fuhr gerade im Sammeltaxi nach Bethlehem, das sich der Haltestelle näherte. Sliman sah, wie Jihad „vollkommen normal, in einer Haltung, die keinerlei Verdacht erregte“, auf die Soldaten zu ging. Seiner Aussage nach hielt Jihad nichts in den Händen.

    Ein Soldat stand neben der Fahrer-Tür des Jeeps, drei weitere Soldaten saßen im Jeep, berichtet Sliman. Als Jihad beim Jeep ankam, sah er den einen Soldaten Jihad am Hemd packen, und ihn hinter das Jeep ziehen. Sliman, der zu diesem Zeitpunkt etwa 20 Meter entfernt war, erzählt, anscheinend sei zwischen Jihad und dem Soldaten, der ihn am Hemd gepackt hielt, ein Streit entstanden, der sich zu Handgreiflichkeiten entwickelte. Nach einigen Sekunden sah er beide, Jihad und den Soldaten, auf dem Boden liegen.

    In diesem Moment stiegen die anderen drei Soldaten aus dem Jeep, um ihrem Kollegen zu helfen. Sliman hörte zwei Schüsse. Die vier Soldaten, so Sliman, fingen jetzt an, auf Jihad, der auf dem Boden lag, einzuschlagen. Er sah sie mit hölzernen Schlagstöcken und Gewehrkolben auf Jihad schlagen, der versuchte, seinen Kopf mit den Händen zu schützen. Von diesem Moment an sah Sliman nichts mehr, da sein langsam fahrendes Taxi den Jeep überholt hatte, und der Jeep die Sicht verdeckte.

    Nachdem das Taxi sich etwas entfernt hatte, drehte es, um zu sehen, was sich hinter dem „Hummer“-Jeep abspielte. Sliman berichtet, die Soldaten hätten weiter auf Jihad eingeschlagen. Er sah mindestens zwei Mal einen Schlagstock auf Jihads Kopf niedergehen. „Ich hatte das Gefühl, diese Schläge sind tödlich“ sagt der Polizist Sliman. Jihad sei bereits bewegungslos auf dem Boden gelegen. Sliman fuhr schnell zu Jihads Familie, um den Vater zu alarmieren. „Komm schnell, die Soldaten schlagen deinen Sohn.“ Der aufgeregte Vater bat noch Jihads Großmutter, zur Haltestelle mit zu kommen, „vielleicht hätte man mit ihr Mitleid und die Soldaten hören auf sie“. Aber Khalil wartete nicht auf die Großmutter; er lief mit Sliman zur Haltestelle.

    Als sich die beiden dem Ort des Geschehens näherten, richteten die Soldaten die Gewehre auf sie und befahlen ihnen, zu verschwinden. Ein Dorfbewohner, der Hebräisch sprach, traf ein. Er versuchte, den Soldaten zu erklären, Khalil sei der Vater des geschlagenen jungen Mannes, er wolle nur wissen, was mit seinem Sohn passiert sei. Einer der Soldaten habe geantwortet: „Sag ihm, sein Sohn sei schon tot.“

    Dann packten die Soldaten den seines Sohnes beraubten Vater, fesselten seine Hände hinter dem Rücken, und ließen ihn so mitten auf der Straße, während das Fahrzeug noch immer zwischen ihm und der Leiche seines Sohnes stand. Die beiden anderen Männer aus dem Dorf wurden weggejagt. Inzwischen kamen mehr Jeeps und Soldaten an, auch ein Krankenwagen des Militärs. Anscheinend versuchte die Belegschaft des Krankenwagens, Jihads Leben zu retten - diese Woche lagen neben der Straße noch weggeworfene Schläuche und Materialien, die das vermuten lassen.

    Nachdem er etwa vierzig Minuten gefesselt auf der Straße gesessen hatte, so erzählt Khalil, sei ein Offizier der Zivil-Verwaltung eingetroffen, Taissir mit Namen, der den Soldaten bedeutete, Khalil die Fesseln abzunehmen. Er sagte ihm, sein Sohn sei ins Krankenhaus ins nahe Beit Jala transportiert worden. Khalil erzählt, in der Zeit, in der er gefesselt auf der Straße verbrachte, sei es ihm nicht gelungen, einen Blick auf seinen Sohn zu erhaschen. Der Jeep stand dazwischen. Er sah nur eine Sekunde lang sein Hemd, als man ihn in den Militär-Krankenwagen hob. Stellt euch das vor: Der Vater gefesselt und der Sohn im Sterben liegend, beide getrennt durch ein Militärfahrzeug.

    Der Offizier der Zivil-Verwaltung fragte Khalil: „Warum hat Ihr Sohn das getan?“ Der Vater: „Mein Sohn war unterwegs zur Universität.“ Der Offizier: „Ihr Sohn hat den Soldaten Ärger gemacht und ein Küchenmesser gezogen.“ Der Vater: „Mein Sohn hat das Haus ohne Küchenmesser verlassen. Zeigen Sie mir das Messer. Ich kenne die Messer in unserer Küche.“ „Sie wollen das Messer sehen?“ fragte der Offizier und verbesserte sich sofort: „Die Militärpolizei hat das Messer schon mitgenommen.“ Khalil hat das Messer nie gesehen.

    Taissir berichtete Khalil, sein Sohn sei schwer verletzt. „Was haben Sie mit ihm getan? Haben Sie ihm in den Kopf geschossen?“ fragte der Vater, und der Offizier schlug vor, den Vater nach Hause zu bringen. Khalil alarmierte dann seinen Bruder, und machte sich mit ihm auf den Weg ins Krankenhaus Beit Jala. Unterwegs wurden sie an der selben Stelle, an der Jihad getötet wurde, wieder aufgehalten. Nach nochmals zehn Minuten wurden sie weiter gelassen, nach Intervention eines Soldaten, der Khalil vorher gesehen hatte.

    Ungefähr um 11:15 Uhr war Jihad abtransportiert worden. Nicht viel später traf Khalil im Krankenhaus ein. Die Leiche seines Sohnes kam erst ungefähr um 15:00 Uhr an. (Der Armeesprecher diese Woche: „Um die Todesumstände sofort zu untersuchen, wurde das Aufhalten der Leiche von allen relevanten Stellen genehmigt.“ ) Der Offizier der Zivil-Verwaltung hatte dem Vater gesagt, sein Sohn sei „schwer verletzt“ gewesen, einer der Soldaten hatte ihm aber schon davor gesagt, sein Sohn sei tot, deshalb hatte Khalil keine Hoffnung mehr, seinen Sohn je lebend wieder zu sehen. Er erzählt das alles mit erstaunlicher Zurückhaltung und Gefasstheit.

    Als die Leiche im Krankenhaus angekommen war, wurde sie von den Ärzten untersucht. Sie kamen zu dem Ergebnis, Jihad sei nicht erschossen, sondern zu Tode geprügelt worden. Sie fanden die drei flachen Löcher in seinem Schädel und diverse Verletzungen am restlichen Körper, hauptsächlich im Bereich der Hüften. Die Leiche wurde zur Obduktion nach Abu Dis geschickt, danach brachte man sie zur Beerdigung ins Dorf Tekoa, an der viele Menschen teilnahmen. Einige Dorfbewohner erzählen, als das Grab ausgehoben wurde, sei ein Jeep der israelischen Grenzpolizei am Dorf vorbei gefahren; seine Insassen haben über Lautsprecher ins Dorf gerufen: „ Jihad ist tot, Allah erbarme sich seiner und euch *****löchern“ [im Original werden die Mütter der Bewohner beschimpft].

    Der Armeesprecher diese Woche: „Am 26.Juli, im Rahmen einer Armeeoperation in der Nähe des Dorfes Hirbet-A-Dir östlich von Bethlehem, näherte sich ein mit einem Messer bewaffneter Palästinenser der Patrouille und versuchte, einen der Soldaten anzugreifen. Daraufhin schoss der angegriffene Soldat den Terroristen in die unteren Körperteile. Nachdem der Palästinenser fortfuhr, den Soldaten mit dem Messer zu stechen, musste ein anderer Soldat, der sich vor Ort befand, seinen Schlagstock benützen, um den Terroristen zu neutralisieren. Der palästinensische Terrorist wurde im Verlauf der Vorkommnisse schwer verletzt, noch vor Ort von der israelischen Armee medizinisch versorgt, schließlich wurde sein Tod festgestellt.“

    Am Abhang neben dem Ort, wo Jihad seinen Tod fand, stehen ein paar Zypressen. Man kann auf der Erde noch verblichene Blutflecken sehen. Die Haltestelle ist leer. Ein gepanzertes Hummer-Fahrzeug blickt auf uns herab von dem Hügel, von dem aus man die Straße überblickt. Wir steigen den Hügel hinauf, am Jeep vorbei, dessen Insassen, vier sonnenbebrillte Soldaten, drinnen heiter lachen. Sind es die Soldaten, die Jihad getötet haben? Sind sie von der selben Einheit?

    Im schönen Steinhaus mit Blick auf den Ort des Tötens, Bienenstöcke hinten im Garten, wohnt noch eine Augenzeugin, die etwa dreißigjährige Nur Harmas. Am fraglichen Tag wachte sie vom Motorengeräusch des Jeeps auf, das den Hügel hinab fuhr. Harmas erzählt, sie sei dann in die Küche gegangen, um Frühstück für ihre Töchter vorzubereiten. Vom Küchenfenster aus sah sie einen jungen Mann, der an der Haltestelle wartete. Dann war sie mit Haushaltsarbeiten beschäftigt. Eine Viertelstunde später hörte sie ein dumpfes Geräusch. Sie sah aus dem Küchenfenster und fand die Haltestelle leer. Jihad stand nicht mehr da. Von hier aus verdeckte eine Zypresse den Blick auf den Jeep.

    Harmas eilte zum Schlafzimmer und öffnete die Balkontür, von der aus man den Jeep sehen konnte. „Ich sah ihn auf dem Boden liegen, die Hände hinter dem Rücken gefesselt, um ihn herum standen drei Soldaten, einer von ihnen trat ihm auf den Kopf. Als ich das gesehen hatte, bin ich sofort zu den Nachbarn, um Hilfe zu holen. Sie schickte den Cousin ihres Mannes hinunter, um nachzusehen, was mit Jihad passiert. Karim Jubran, Feldforscher von B'tselem [israelisches Informationszentrum für Menschenrechte in den besetzten Gebieten], zieht aus seiner Tasche ein paar zerschnittene weiße Plastik-Handschellen, die er am Ort des Geschehens gefunden hatte. Wurde Jihad gefesselt, als die Soldaten ihn zu Tode prügelten? Oder sind es die Fesseln, mit denen die Soldaten den seines Sohnes beraubten Vater fesselten, neben der Leiche seines Sohnes. Es macht keinen Unterschied mehr.

    Haaretz, 10.08.2007

    (dt. Weichenhan-Mer)


    Quelle
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    Es ist vielleicht keine Entschuldigung aber eine Erklärung wie man zu solch aussichtslosen taten wie Selbstmordattentate kommt.
     
  2. 14. September 2007
    AW: Warum Palistinänser zu Selbstmordattentäter werden

    Selbstkritik ist der erste Schritt. Wobei mich das an für sich in einer moderaten, liberalen Tageszeitung nich verwundert.
    Wenn von palästinensischer Seite in ähnlich einflussreichen Medien die eigenen Verbrechen auch so schonungslos aufgezeigt werden, wäre das schon mal ein erster Schritt in Richtung Versöhnung und Frieden.
    Allgemein gibt es glücklicherweise Hoffnungszeichen, dass die Vernüftigen in der arabischen und israelischen Welt immer öfter das Wort ergreifen und sich hoffentlich eines (balden) Tages durchsetzen werden.


    /aber Sean-Price, ich glaube dir geht`s mehr darum zeigen zu wollen, dass die Israelis die Bösen sind, hab ich recht?
     
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