Jérôme allmächtig

Dieses Thema im Forum "Politik, Umwelt, Gesellschaft" wurde erstellt von DerOssi, 25. März 2008 .

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  1. 25. März 2008
    Ich weiss nicht ob ihr euch noch an den Skandal der franzüsischen Bank ende Januar erinnert könnt, aber hierzu nochmal ein sehr informativer Text: ( zwar lang, aber er lohnt sich )


    Von Rüdiger Jungbluth

    Wie ein kleiner Aktienhändler Milliarden verspielte und eine französische Großbank erschütterte.

    Er hat einen finanziellen Schaden angerichtet wie kein Mensch jemals zuvor. Trotz¬dem ist er ein freier Mann, jedenfalls vorerst. Am Montagabend entließ die Pariser Staatsanwaltschaft auf Anordnung eines Gerichts den Aktienhändler Jérôme Kerviel aus ihrem Gewahrsam. Er gab seinen Pass ab und erhielt die Auflage, nicht mit den früheren Kollegen in der Société Générale zu sprechen. Das wird ihm nicht schwer¬fallen.
    Eine Kaution musste der 31-Jährige nicht hin¬terlegen. Damit ging das Gericht der schwierigen Frage aus dem Weg, wie viel man von einem Mann als Sicherheit ver¬langen sollte, dessen berufliches Wirken seinem Arbeitge¬ber einen Verlust von mehr als 4,8 Milliarden Euro einge¬tragen hat.
    Es handelt sich um einen auch für Richter schwer vorstellbaren Betrag. Das Geld würde ausreichen, um 21 Flugzeuge vom Typ Airbus 380 zu kaufen. Man könnte auch 13.000 Rolls-Royce bestellen. Oder 112.000 Lehrer ein Jahr lang bezahlen. Bei der Größe dieses Verlustes ist es verständlich, dass die Vor-standsherren der zweitgrößten Bank Frankreichs einen Schul¬digen präsentierten. Ein Händ¬ler aus der Delta-One-Abtei¬lung habe einen »schweren internen Be¬trug« begangen, gaben sie am Donnerstag ver¬gangener Wo¬che bekannt. Später sickerte der Name durch. Ein Bild ging per Inter¬net um die Welt und wurde millionenfach in den Zeitungen gedruckt.
    Es ist das Foto, mit dem sich der Franzose auf der Internetkontaktseite Facebook präsentiert. Es zeigt einen missmutigen, fast zornigen Mann. Ein Bild, das Unbeha¬gen auslöst. Es erinnert an Fotos, wie man sie von Selbstmordattentätern und Amokläufern kennt. Und tatsächlich schien es für eine kurze Zeit so zu sein, als sei die Welt von einer neuen terroristischen Bedrohung heimgesucht worden. Als habe sie es mit einem Amokläufer neuen Typs zu tun. Einem, der darauf abzielt, den größtmöglichen wirtschaftlichen Schaden anzurichten. Die These vom Finanzterro¬risten Kerviel erhielt dadurch Nahrung, dass die Bank keine Angaben darüber machte, welche Motive der Händler gehabt haben könnte. Und der genannte Scha¬den war so unermesslich groß, dass es sich eigentlich weder um eine Fehlspekula¬tion handeln konnte noch um den Versuch eines einfachen Angestell¬ten, die Bank von innen zu berauben.
    Inzwischen hat sich das Bild einigermaßen geklärt. Kerviel hat bei der Staatsanwalt¬schaft umfangreiche Aussa¬gen gemacht. Die Bank hat Details zu den verhängnis¬vollen Geschäften ihres Händlers veröffentlicht. Und das interessierte Publikum be¬kommt einen Einblick in die Welt des Derivatehandels. Es lernt etwas über Futures und Plain-Vanilla-Optionen, liest von Margin Calls und den Besonderheiten der Ar¬bitrage – und staunt, mit welchen Beträgen die Banken heute ihre Händler hantieren lassen.

    Endlich raus aus dem Hinterzimmer und ran an die großen Wetten
    Die Staatsanwaltschaft beschuldigt den ge¬ständigen Kerviel der Untreue, der Fäl¬schung und des Eindringens in Computersysteme. Den Vorwurf des schweren Be¬trugs, den die Bank¬manager erhoben hatten, hielt sie für un¬be-gründet. Auf Mittäter gebe es keinen Hinweis. Für die Führung der Société Générale sind die Ergebnisse der Er¬mittler desaströs. Die Bank, die bis zur ver-gangenen Woche zu den ange¬sehensten Geld¬häusern weltweit ge¬hörte, steht nun völlig blamiert da. Was als Krimi begann, entwickelt sich zur Tragikomödie. Ein einzelner Akti¬en¬händler aus der dritten Reihe hat offen¬bar alle Kontrollen aushebeln können und, ohne dass es seine Vorge¬setzten merkten, an den inter¬nationalen Finanzmärkten eine Wette aufgege¬ben, bei der er den Betrag von 50 Milliarden Euro aufs Spiel setzte. Das ist mehr Geld, als die ganze Bank wert ist.
    Der Mann, dem das gelang, kam aus der Provinz. Jérôme Kerviel wuchs in der Bre¬tagne auf. Der Vater war Lehrer, die Mutter hatte bis zur Rente einen Friseursalon. Der Junge begeisterte sich fürs Segeln, den Judosport und mit zunehmendem Alter auch für die Welt der Börsen, den in den Augen vieler heißesten Bereich der Wirt¬schaft.
    Kerviel studierte in Nantes und Lyon Ökonomie, im September 2000 schloss er mit »noch gut« ab. Er fand so¬fort einen Job in der Zentrale der Société Générale. Ihr Glaspalast im Westen von Paris ist eine Kathedrale des Geldes.
    Mit 23 Jahren fing Kerviel in einer Abteilung an, in der die Geschäfte der für die Bank tätigen Börsenhändler überwacht werden. Er saß im Backoffice, dem Hinter¬zimmer. Dort erging es ihm ähnlich wie zuvor schon dem jungen Nick Leeson, des¬sen Zockerei die britische Barings Bank 1995 die Unabhängigkeit kostete. »Während ich lernte, wie Futures- und Optionsgeschäfte abgewickelt wurden, begriff ich all¬mählich, dass das ganz große Geld von den Händlern verdient wurde, die an der Börsenfront agierten«, schreibt Leeson in seinen Erinnerun¬gen. Nach zwei Jahren in der Bank schaffte Kerviel den Sprung. Er wechselte auf die Seite der Händler, zu¬nächst nur als kleiner trader assistent, aber immerhin. Endlich war er einer von de¬nen, die mit ihren Gewinnen den ganzen Laden zogen. Endlich gehörte er nicht mehr zu den Verwaltungs- und Kontrolltypen, die nur Kosten verursachten und den an¬deren mit ihren Fragen und Ermahnungen auf die Nerven gingen.
    Kerviel fing im Arbitragehandel an. Das ist ein relativ ruhiges und risikoarmes Ge¬schäft, bei dem es darum geht, aus den winzigen Preisunterschieden an verschiede¬nen Börsen Gewinne zu machen. Man kauft an der ei¬nen Börse Papiere und verkauft sie an einer anderen wieder. Es geht um klare, standardisierte Finanzprodukte. »Delta One« klingt in den Ohren eines Händlers wie Hausmannskost.
    Im Jahr 2005 stieg Kerviel zum Händler auf und machte seine Deals seither selbst¬ständig, wenn auch natürlich nicht unbeaufsichtigt. Eine große Nummer war er nicht. Mit einem Jahreseinkommen von weniger als 100.000 Euro zählte er in der Armee der Investmentbanker zum Fußvolk.
    Vielleicht war das sein Problem.
    Jérôme Kerviel handelte mit Futures. Das sind Finanzwetten, die es in vielfältiger Form gibt. Ein Anleger kann sich mit dem Kauf eines Futures das Recht sichern, alle 30 Aktien, die im Dax enthalten sind, zu einem be¬stimmten Zeitpunkt in der Zukunft zu einem Preis zu kaufen, der heute schon festgelegt ist. Das ist dann ein gutes Ge¬schäft, wenn an dem vereinbarten Tag die Kurse an der Börse höher sind als der vorher ausgemachte Preis. Dann kriegt man die Aktien relativ billig und kann sie gleich wieder teuer verkaufen, und der Gewinn ist gemacht.

    Er fälschte E-Mails und knackte die Codes der Kollegen
    Für Zocker sind Futures verführerisch, weil ihre Kurse stärker schwanken als die von Aktien. Und man braucht weniger Kapital, als wenn man sich direkt Aktien kauft. Mit Futures kann man bei kleinem Einsatz einen großen Gewinn machen – man kann aber auch alles verlieren. Was bei Aktien nur selten geschieht, ist bei vielen Futu¬res die Regel: Sie werden völlig wertlos. Denn was nützt einem das Recht, eine Aktie für 50 Euro zu kaufen, wenn sie zu diesem Zeitpunkt an der Börse nur 40 Euro kostet?
    Futures sind aber nicht nur für Spieler gedacht. Sie werden von vielen Anlegern auch benutzt, um sich gegen Verluste zu schützen – sozusagen als Versicherung für das Vermögen. Wer Aktien besitzt und sich sorgt, dass deren Kurs drastisch fallen könnte, der kann sich Futures von der Sorte kaufen, die bei fallenden Aktienkursen mehr wert werden. Knicken die Kurse wirklich ein, verdient man wenigstens mit den Futures Geld und kann die Verluste so teilweise ausgleichen. Die Fachleute nennen solche Absicherungen einen hedge.
    Auch der Händler Jérôme Kerviel durfte nur »gehedgte« Geschäfte machen. Er durfte nicht einfach darauf wet¬ten, ob die Aktienkurse an einer Börse steigen oder fallen. Er sollte auf eine andere, weniger riskante Weise Geld für die Bank verdie¬nen. Sein Job bestand darin, eine Reihe von Anlageprodukten auszuwählen und zu kaufen, die bei steigenden Aktienkursen an Wert gewannen, und gleichzeitig eine andere Auswahl an Anlagen zu tätigen, bei denen es genau umgekehrt ist: Sie wür¬den bei fallenden Aktienkursen im Preis steigen.
    Der Laie fragt sich, wie man mit solch gegenläufigen Geschäften Geld verdienen kann. Die Profis wissen, dass man durch die geschickte Kombination solcher Fi¬nanzinstrumente beachtliche Gewinne erzielen kann. Und das Risiko ist dabei viel geringer als bei einer einfachen Spekulation. Zu den Eigentümlichkeiten der Arbit¬rage zählt allerdings, dass dabei auch für Banker ungewöhnlich hohe Beträge be¬wegt werden. Das gehört zum Geschäft und beunruhigt in dieser Szene niemanden. Entscheidend ist nicht die Größe der Geldflüsse, auch nicht die Höhe der Umsätze, sondern das Risiko. Nur das zählt.
    Im November 2005 hat Jérôme Kerviel angefangen falschzuspielen. Ohne dass es jemandem auffiel, warf er das Korsett des Arbitrageurs ab und wurde zum Speku¬lanten. Er begann, bei einigen seiner Deals das vorge¬schriebene Gegengeschäft einfach wegzulassen. Auf diese Weise setzte er mehr Geld aufs Spiel, als er das sonst getan hatte. Mehr, als er durfte. Das Limit, das ihm die Bank gesetzt hatte, lag bei einer halben Million Euro. Das war sein Spielgeld.
    Aber Jérôme Kerviel wollte ein größeres Rad drehen. Er wollte höhere Gewinne ein¬fahren und auf diese Weise höhere Bonifikationen kassieren. Er fing an, seine Vor¬gesetzten und die bankinternen Kontrollinstanzen zu täu¬schen, indem er die Gegen¬geschäfte in den Computersystemen vortäuschte. Dazu benutzte er auch Passwörter von Kollegen. Er machte sich den Umstand zunutze, dass bei den meisten dieser Geschäfte zunächst gar kein Geld fließt. Es handelt sich um Positionen in Compu¬tern, um Verpflichtungen und Zahlungsversprechen. Man kann auch sagen: um Zif¬fern mit einer langen Kette von Nullen hintendran.
    Als Kerviels riskante Geschäfte in der vergangenen Woche bekannt wurden, melde¬ten sich zahlreiche Kenner des Gewerbes mit dem Hinweis zu Wort, dass die Händler an den Terminbörsen für die von ihnen gekauften Futures einen kleinen Teil des Geldes als Sicherheit hinterlegen müssen. Diese Einschusszahlungen müsse die Bank auch für Kerviels Finanzwetten geleistet haben. Ohne mehrere Mittäter sei das aber nicht möglich.
    Tatsächlich hat die Bank, das weiß man inzwischen, die notwendigen Sicherheiten für die Deals auch hinterlegt. Im November vergangenen Jahres erhielt sie sogar ei¬nen Hinweis von den Verantwortlichen der in Frankfurt beheimateten Terminbörse Eurex auf besonders auffällige Transaktionen Kerviels. Doch der konnte die Beden¬ken zerstreuen, indem er ein gefälschtes Dokument vorlegte, wonach er die an der Eurex eingegangenen Risi¬ken anderweitig abgedeckt hatte.
    Der Aktienhändler schloss seine Wetten nämlich nicht nur an den europäischen Bör¬sen, sondern auch mit an¬deren großen Banken ab. Mit denen vereinbarte er regel¬mäßig sogenannte Forwards: Termingeschäfte, bei de¬nen keinerlei Anzahlungen geleistet werden müssen. Man kennt sich ja untereinander und kann also auf Sicher¬heiten verzichten. Die Bestätigungen bei solchen Geschäften folgen meist erst nach Tagen oder sogar Wochen. Kerviel kam auf die Idee, dass er die Schreiben der Part¬nerbanken fälschen könnte. So war es ihm möglich, die Risikokontrolle auszutrick¬sen. Dabei profitierte er davon, dass er am Anfang seiner Karriere selbst in dieser Abteilung gearbeitet hatte und ziemlich genau wusste, wie die Prüfer arbeiteten – und wie man unter ihrem Ra¬dar hindurchflog.
    Kerviel war extrem erfolgreich mit seinen verborgenen Geschäften. Zum Jahresende 2007 realisierte er einen Gewinn von 55 Millionen Euro, den er für die Bank auf seine spezielle Weise zusammenspekuliert hatte. Für sich selbst rechnete er mit ei¬nem Bonus von 300.000 Euro. Auch mit den noch nicht realisierten Geschäften, also den Spekulationen, die noch weiterliefen, lag er angeblich satt im Plus. In den Posi¬tionen, von denen sein Ar¬beitgeber nichts wusste, schlummerte ein Buchgewinn von 1,5 Milliarden Euro.
    Jérôme Kerviel muss sich wie ein Meister des Universums vorgekommen sein. Das ist der Typus Banker, den Tom Wolfe einst in seinem Buch Fegefeuer der Eitelkeiten beschrieben hat. Es geht ihnen um Geld und um Macht. »Sie drücken auf den Knopf, und Sie bewegen«, beschreibt der Chef einer deutschen Großbank dieses Gefühl. »Das hat eine animalische Faszination.« Mit der Kraft des Kapitals lassen sich Kurse und Märkte bewe¬gen. »Da ist es nicht weit bis zur narzisstischen Allmachtsfantasie.«
    Doch was, wenn auf einmal alles gegen einen läuft? Im neuen Jahr spekulierte Ker¬viel auf steigende Aktien¬kurse an den europäischen Börsen, aber tatsächlich ging es rasant bergab. Dann deckten die Kontrolleure eine seiner Fälschungen auf. Die von Kerviel in einer E-Mail angegebene Partnerbank wusste auf Nachfrage nichts vom vermeintlichen Gegengeschäft. Am vorvergangenen Samstag wurde Kerviel in die Bank beordert und von seinen Chefs zur Rede gestellt. Dabei lief der junge Aktien¬händler im Kreis herum und improvisierte einen lan¬gen Vortrag über die von ihm erfundene geniale Handelsstrategie. Erst nach Stunden brach er zusammen und gab die Manipulationen zu.
    Am folgenden Sonntag verschafften sich Kerviels Kollegen einen Überblick über die von ihm eingegangenen Ri¬siken. Das Ergebnis übertraf ihre schlimmsten Befürch¬tungen bei Weitem. Bankchef Daniel Bouton informierte umgehend den Präsidenten der französischen Zentralbank Christian Noyer. Die französische Regierung erfuhr nichts. Zu groß war die Sorge der Banker, dass irgendjemand ihre riskante Lage ausplaudern würde. Denn dann hätten andere Banken massiv gegen die Société Générale spekulieren können, um auf deren Kosten einen Ge¬winn zu machen.
    Die Sache wurde auch so heiß. Als die Banker am Montag vergangener Woche da¬rangingen, Kerviels Positionen stückweise abzubauen, gerieten sie unerwartet in ei¬nen scharfen Abwärtstrend. Der Dax, auf den viele der Wetten liefen, fiel an diesem »schwarzen Montag« um mehr als sieben Prozent. Am Ende der Aufräumarbeiten, Mittwochabend, stand unterm Strich ein Minus von 4,82 Milliarden Euro. Kerviel wirft der Bank jetzt vor, über¬hastet verkauft zu haben. Bei seinem Abgang hatte das Mi¬nus »nur« zwei Milliarden Euro betragen.
    Für die Bank ist der Verlust desaströs. Der Größte Anzunehmende Unfall (GAU) war es allerdings nicht. Die Bank buchte den Verlust kurzerhand in das abgelaufene Ge¬schäftsjahr und verrechnete ihn mit ihren sonstigen hohen Gewinnen. Unterm Strich steht immer noch ein positives Ergebnis von 600 bis 800 Millionen Euro. Den Scha¬den aus den Geschäften des Jérôme Kerviel tragen, wie üblich, nicht die Manager der Großbank, sondern die Aktionäre. Ihre Anteile sind jetzt ein Drittel weniger wert.
    Das Publikum staunt und fragt sich, wo das ganze Geld wohl geblieben ist. Die Ant¬wort ist einfach: Was Kerviel und seine Bank in diesen Januartagen verloren haben, das haben andere Banken und Spekulanten gewonnen. Auch im Terminhandel gilt der Satz: Das Geld ist nicht weg, es hat nur ein anderer.

    Quelle: DIE ZEIT, 31.01.2008 Nr. 06
     
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