Bessere Roboter dank Stabheuschrecken

Dieses Thema im Forum "Netzwelt" wurde erstellt von tee, 31. März 2008 .

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  1. 31. März 2008
    Eigentlich interessieren ihn Roboter nicht, sagt Holk Cruse. Trotzdem gehört der von ihm mitentwickelte Roboter zu den besten, die derzeit herumlaufen. Oder vielleicht gerade deshalb.

    "Ich will wissen, wie das menschliche Gehirn funktioniert", bekennt Cruse, der an der Universität Bielefeld biologische Kybernetik und theoretische Biologie lehrt. Und um das zu verstehen, baut er Roboter.


    Genauer gesagt: Er experimentiert mit Tieren, um auf das Verhalten ihres Gehirns zu schließen. Für Cruse ist das Gehirn nämlich auch nichts anderes als eine Maschine, die Verhalten erzeugt. Denken ist seiner Definition nach Vorausplanen, die mentale Simulation einer Bewegung, bevor sie durchgeführt wird. Kurz: "Das, was Freud als Probehandeln bezeichnet." Was lag da also näher, als seinerseits eine Maschine zu bauen, die Verhalten erzeugt? In diesem Fall ist das erzeugte Verhalten das Laufen. Dieses sei, erklärt Cruse, ein wichtiges Thema in der Robotik, um daran Steuermechanismen zu studieren.

    Als Studienobjekt dienten den Bielefelder Biologen Stabheuschrecken. Diese setzten sie, an einem Gestell befestigt, auf ein Laufrad. Setzt sich das Laufrad in Bewegung, begannen die Insekten ihre sechs Beine zu bewegen. Die Wissenschaftler filmten sie dabei und studierten anschließend die Videos. Ein Muster war schnell gefunden: Für jedes Bein gibt es nur zwei Phasen: eine, in der das Bein in der Luft, und eine andere, in der es auf dem Boden ist. Doch bei sechs Beinen ist eine Koordination nicht so einfach. Was aber, so die Überlegung, wenn es gar keine zentrale Steuerung gibt? Tatsächlich konnten die Wissenschaftler eine dezentrale Koordination der Beine mit nur wenigen Regeln beschreiben. Wichtigste Regel: Ist ein Bein in der Luft, muss das benachbarte auf dem Boden sein.

    Anhand dieser wenigen Regeln programmierten sie dann eine Computersimulation einer Stabheuschrecke auf der Basis von neuronalen Netzen. Und siehe da: Mit den wenigen Regeln und einer ständigen Kommunikation der sechs Module für die Beine konnte die virtuelle Heuschrecke im Computer laufen. Und nicht nur das: Die Wissenschaftler ließen sie um Kurven laufen, Hindernisse überqueren, sie schnitten ihr sogar eines ihrer digitalen Beine ab - das virtuelle Insekt meisterte alle Aufgaben. Selbst aufgestanden sei es von sich aus, nachdem es anfangs mehrfach hingefallen war.

    Nach diesem Erfolg in der virtuellen Welt wollten die Bielefelder Wissenschaftler ihre Erkenntnisse auch in der realen prüfen. Dazu gaben sie einen sechsbeinigen Roboter in Auftrag. In die Steuereinheiten seiner Beine implementierten sie die gleichen Regeln, die sie aus den Bewegungen der Stabheuschrecke deduziert hatten.

    Wie das Computermodell bestätigte auch Tarry II b, so der Name des Roboters, die Erkenntnisse der Wissenschaftler. Selbst Hindernisse wie Steine überquert das künstliche Insekt mühelos. Fast jedenfalls, schränkt Cruse ein: "Roboter erreichen auch heute noch nicht die Eleganz eines Tieres." So überquert eine lebendige Stabheuschrecke Spalten, die so breit sind wie ihre Körperlänge. Ihre mechanische Schwester hingegen versagt vor einem solchen Hindernis.

    Ein wichtiger Faktor für die Intelligenz des Systems ist dabei die Rückkopplung einer Bewegung über die Außenwelt, fanden die Forscher im Zuge ihrer Experimente heraus. Dabei wird eine Bewegung, die der Körper erzeugt hat, durch Sinnesorgane aufgenommen und wieder an das Nervensystem weitergegeben. Embodiment nennt Cruse das.

    Entsprechend wurde das bei Tarry II b umgesetzt: Das künstliche neuronale Netz des Steuermechanismus prüft den Winkel der Beingelenke, errechnet einen neuen Winkel, bewegt das Bein ein Stück, fragt die Daten der Sensoren ab, rechnet erneut, bewegt wieder das Bein und so weiter. Durch diese Iterationsschritte kann das System sehr einfach auf ein Hindernis, das vor Tarry auftaucht, reagieren.

    Die Erkenntnis, dass Intelligenz auch mit dem Körper zusammenhängt, wurde erst durch die Beobachtung der Natur ermöglicht. In der klassischen Künstliche-Intelligenz-Forschung sei immer versucht worden, alles intern zu rechnen, analysiert Cruse. Die Biologen hingegen beobachteten Tiere und fragten sich, wie diese bestimmte Bewegungen koordinieren.

    Die Roboter, die aus diesen Erkenntnissen entstehen, sind nach Cruses Ansicht besser als jene, die von Ingenieuren auf eine bestimmte Anwendung hin entwickelt werden. Das Laufen sei hierfür ein gutes Beispiel: Ein Ingenieur berechnet die Bahn, die ein Bein während eines Schrittes zurücklegen muss und lässt das Bein diese Bahn ausführen. Stößt das Bein jedoch an ein Hindernis, kann es nicht darauf reagieren. Anders das von einem neuronalen Netz gesteuerte Bein: Da ständig die Daten der Sensoren abgefragt werden, kann das Bein zu jedem Zeitpunkt auf ein Hindernis reagieren.

    Doch auch wenn Tarry II b oder seine Nachfolger immer besser werden: Roboter für Anwendungen zu bauen, interessiert den Biologen Cruse nicht. Sein Ziel ist eben ein anderes: "Mich persönlich interessiert die Vorausplanungsfähigkeit, das Probehandeln - also das, was man als Denken bezeichnen könnte. Das würde ich gern hinkriegen." (wp)

    Quelle: Golem.de
     
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