Interview: Im Internet ist Platz für alle

Dieses Thema im Forum "Netzwelt" wurde erstellt von zwa3hnn, 29. Mai 2008 .

  1. 29. Mai 2008
    Die ARD-Generalsekretärin Verena Wiedemann im Gespräch mit Golem.de
    Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten stehen in der Kritik, weil sie ihre Angebote den Nutzern verstärkt auch im Internet zur Verfügung stellen. Der 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag könnte dem enge Grenzen setzen. Golem.de sprach mit ARD-Generalsekretärin Verena Wiedemann über die Auswirkungen dieses Vertrages, über Rechte und darüber, was die ARD im Internet gern machen würde.


    Die Juristin Verena Wiedemann ist die erste ARD-Generalsekretärin. Sie berät den ARD-Vorsitzenden, beispielsweise bei strategischen Fragen der ARD. Sie bekleidet das Amt seit 1. Juli 2006. Zuvor war sie 13 Jahre lang in Brüssel, wo sie europäische Medienpolitik für die ARD gemacht hat.

    Golem.de: Die ARD ist ein föderales System, schaut man sich die Webangebote der ARD-Anstalten an, scheint jede Anstalt eine eigene Strategie zu verfolgen. Gibt es überhaupt eine generelle öffentlich-rechtliche Onlinestrategie?

    Verena Wiedemann: Die Landesrundfunkanstalten sind alle eigenständige Sender. Sie haben in den jeweiligen Landesgesetzen eigenständige Rechtsgrundlagen und besprechen ihre Onlinestrategien mit den zuständigen Rundfunkgremien. Das führt zu Unterschieden in den Angeboten der einzelnen Landesrundfunkanstalten.

    Zusätzlich hat die ARD im vergangenen Jahr eine von allen Anstalten gemeinsam getragene Digitalstrategie der ARD verabschiedet. Die betrifft das Angebot des Ersten Programms und der ARD auf nationaler Ebene, ist aber auch Ausdruck des gemeinsamen Verständnisses der Digitalstrategie aller Landesrundfunkanstalten.

    Die Präsenz in der digitalen Medienwelt ist für uns essenziell, um auch weiterhin die Gebührenzahler mit unseren Angeboten zu erreichen. Vor knapp zwei Monaten hat auch die Gremienvorsitzendenkonferenz, das ist ein Aufsichts- und Kontrollgremium auf ARD-Ebene, alle Anstalten aufgefordert, verstärkt Internetangebote für junge Nutzer zu entwickeln, um diese wieder verstärkt an den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu binden. Daran arbeiten wir jetzt gemeinsam.

    Golem.de: Wie sieht es mit der rechtlichen Situation bei Internetcontent aus? Was dürfen die Anstalten ins Internet stellen, was nicht?

    Wiedemann: Der jetzige Auftrag für Telemedien ermächtigt uns, Inhalte mit Programmbezug ins Netz zu stellen. Das heißt, wir können unsere Sendungen im Internet auch mit Text und Bild begleiten. Wir haben in diesem Zusammenhang zum Beispiel informative Dossiers zu unseren ARD-Themenwochen zusammengestellt, die sich mit Themen wie der Bedeutung von Kindern für Familie und Gesellschaft, Krebs oder der demografischen Entwicklung der Bevölkerung befassen. Diese Themen haben wir schwerpunktmäßig in unseren Hörfunk- und Fernsehprogrammen behandelt und dann auch ins Netz gestellt. Und wir haben Wissensportale für Junge wie planet-schule.de oder planet-wissen.de aufgebaut.

    Nach unserem Auftrag ist dies heute möglich. Ob der Auftrag aber fortbesteht, ob wir das auch in Zukunft machen können, steht derzeit in Frage. Denn die Länder erarbeiten gerade den sogenannten 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag, der diesen weiten Onlineauftrag möglicherweise einschränkt.

    Golem.de: Dürften Sie danach solche Themendossiers nicht mehr ins Internet stellen?

    Wiedemann: Nach dem jetzigen Entwurf könnten wir unsere Inhalte - Sendungen zum Abruf, Texte und Bilder - nur noch maximal sieben Tage ins Internet stellen. Danach müsste alles gelöscht werden. Das würde bedeuten, dass wir gerade solche Dossiers und Themenschwerpunkte, aber auch ältere Inhalte, die redaktionell wertvoll sind, nicht mehr vorhalten könnten.

    Golem.de: Geschriebene Inhalte sind eine Sache. Was aber ist mit Filmen im Internet?

    Wiedemann: Unsere Auswahlkriterien, was wir im Netz zum Abruf auch nach der Ausstrahlung in Hörfunk und Fernsehen bereithalten, richten sich zum einen nach der journalistischen Relevanz dieser Inhalte, also danach, was für unsere Nutzer von besonderem Interesse ist. Das ist das eine Kriterium, anhand dessen unsere Redaktionen entscheiden, was sie ins Internet stellen.

    Die anderen Kriterien, nach welchen wir entscheiden müssen, was ins Internet gestellt wird oder nicht, sind die rechtliche und die finanzielle Situation. Haben wir die Onlinerechte an diesen Inhalten, was kosten die Rechte an diesen Inhalten und was die Verbreitung? Wir müssen die Kosten für das Streaming im Auge behalten. Das sind die Überlegungen, die derzeit eine besondere Rolle spielen. Aber künftig gibt es ja möglicherweise eine ganz schematische Grenze im Rundfunkstaatsvertrag, die nicht im Interesse der Gebührenzahler wäre.

    Golem.de: Die meisten Fernsehinhalte der ARD gibt es nur als Stream. Die BBC bietet ihre Sendungen auch zum Download etwa über iTunes an. Warum bieten Sie nicht auch Downloads in verschiedenen Formaten und für verschiedene Plattformen?

    Wiedemann: Im Hörfunk machen wir das. Viele Hörfunkbeiträge stehen als Podcasts zur Verfügung. Es gibt vereinzelt auch Videobeiträge zum Download. Dass wir in der Regel Videoinhalte auf Abruf im Wege des Streaming zur Verfügung stellen, hat Rechtegründe. Erfahrungsgemäß ist die Abgeltung von Urheberrechten kostengünstiger, wenn wir eine Sendung als Stream und nicht zum Download ins Netz stellen.

    Golem.de: Wer hat überhaupt Rechte an einer Fernsehproduktion?

    Wiedemann: Alle, die daran mitwirken. Zunächst sind das die Autoren des Drehbuchs. Dann die Produzenten, der Regisseur, die Schauspieler. Hinzu kommen noch die Musikrechte. Das ist schwierig. Musikstücke, an denen die großen internationalen Musikverlage die Rechte halten, dürfen wir überhaupt nicht ins Internet stellen.

    Golem.de: Was passiert, wenn eine Privatperson Onlineinhalte der ARD nutzt, sie zum Beispiel in die eigene Website oder sein Blog einbindet? Schließlich haben die Gebührenzahler für diese Sendungen bezahlt.

    Wiedemann: Das ist richtig. Das Onlinerecht ist aber ein eigenständiges Recht. Wir können eine Sendung, die wir produziert haben und an der wir das Senderecht haben, nicht einfach ins Netz stellen, sondern wir müssen die Onlinerechte regelmäßig extra abgelten - und es ist schwierig, das Einverständnis der Rechteinhaber dafür zu bekommen, dass ihre Produktionen von Dritten nicht nur zur privaten Nutzung heruntergeladen werden, sondern auch noch weitergegeben und im Internet verteilt werden. Das sind neue Entwicklungen, mit denen wir uns beschäftigen.

    Bei Eigenproduktionen gibt es vereinzelt bereits Tests, beispielsweise beim NDR, wo die Sendungen Extra 3 und Zapp unter eine sogenannte Creative-Commons-Lizenz ins Netz gestellt werden. Das heißt, Privatnutzer dürfen die Beiträge unter bestimmten Einschränkungen, die für solche Lizenzen typisch sind, verwenden.

    Golem.de: Was können und dürfen Privatnutzer denn mit einem Zapp-Beitrag machen?

    Wiedemann: Sie können sich einen Beitrag auf ihre Festplatte herunterladen, sie können ihn auf ihrer eigenen Homepage einstellen, und sie können ihn in Communitys an Dritte weitergeben. Sie dürfen den Beitrag jedoch nicht inhaltlich verändern und auch nicht die Kennung der Marke NDR herausnehmen. Es muss erkennbar bleiben, dass es sich um einen Beitrag von Zapp handelt. Außerdem dürfen sie damit keine kommerziellen Zwecke verfolgen, ihn also nicht an Dritte weiterverkaufen.

    Golem.de: Das ZDF hat vor etwa einem Jahr eine Mediathek gestartet. Die ARD hat jetzt erst nachgezogen. Weshalb hat die Einrichtung so lange gedauert?

    Wiedemann: Die ARD-Mediathek ist ein rein virtuelles Portal. Hier werden keine Inhalte extra produziert und eingestellt, sondern sie ist der zentrale Einstieg und die Benutzeroberfläche für den Zugang zu Hörfunk- und Fernsehbeiträgen aller ARD-Sender. Hier wird also eine große Menge von Inhalten aus unterschiedlichen Quellen auf einem Portal zusammengeführt. Das ist einmalig in Deutschland, erforderte aber einen entsprechenden Aufwand, eine hohe Abstimmung und enormes Know-how. Die ARD-Mediathek musste von uns entwickelt werden, denn dafür gab es keine Vorbilder und allein vom Umfang der eingestellten Inhalte her ist sie auch nicht vergleichbar mit der ZDF-Mediathek.

    Golem.de: Es gibt es eine Reihe von ARD-Sendungen, die nicht über das Internet abgerufen werden können. Warum sind beispielsweise die Bundesliga oder Prestige-Produktionen wie Schmidt und Pocher dort nicht oder nur teilweise vertreten?

    Wiedemann: Schmidt und Pocher werden live gestreamt und es gibt ein Best-of der Sendung im Netz. Es geht auch hier wieder um die Rechte und die Kosten. Wir müssen im Rahmen unserer Ausgaben immer eine Abwägung treffen, wofür wir die Rundfunkgebühren unserer Zuschauer sinnvoll ausgeben. Wir können es nicht finanzieren, alle Inhalte einzustellen und müssen daher eine Auswahl treffen. Bei der Bundesliga, wo die Rechtepakete gestückelt werden, hat die ARD im Fernsehen ja nur Zweitverwertungsrechte. Wir dürfen dort die Spiele nicht live zeigen, sondern nur als Zusammenfassungen in der Sportschau. Wir kaufen auch für das Fernsehen immer nur die Rechte ein, die wir im Rahmen unseres Auftrags und nach Maßgabe des verantwortungsvollen Umgangs mit den Rundfunkgebühren vertreten können.

    Golem.de: Wenn die ARD dürfte, wie sie wollte: Wie würde das ARD-Onlineangebot dann aussehen? Was würden Sie inhaltlich, was technisch machen?

    Wiedemann: Man sieht auf unseren Webseiten schon sehr viel von dem, was wir den Gebührenzahlern anbieten müssen, um sie auch in Zukunft zu erreichen. Wir haben mit der Mediathek ein zentrales Portal geschaffen, über das unsere Nutzer auf die Inhalte der Landesrundfunkanstalten und des Ersten zugreifen können. In Zukunft müssen wir neue digitale Angebote durch den sogenannten "Drei-Stufen-Test" schicken und durch die Rundfunkgremien genehmigen lassen.

    Inhaltlich wollen wir das, was redaktionell und journalistisch wertvoll und für unsere Nutzer interessant ist, bereitstellen.

    Golem.de: Was verstehen Sie unter redaktionell und journalistisch wertvollen Inhalten?

    Wiedemann: Wertvoll sind alle unsere Inhalte. Aber die publizistische Relevanz verändert sich mit der Zeit. Das, was aktuell gesendet worden ist, würden wir gern für mindestens sieben Tage einstellen.

    Ob wir dem Nutzer auch darüber hinaus Inhalte längerfristig bereitstellen wollen, hängt dann von deren journalistischer Relevanz ab. Inhalte, die wir in planet-wissen.de oder planet-schule.de einstellen oder die bereits erwähnten Themenwochen-Seiten sollten unserer Meinung nach nachhaltig auch im Netz verfügbar sein. Das gilt auch für Angebote aus der Kultur. Künstlerporträts werden ja nicht weniger interessant für den Nutzer, nur weil sie vor sieben Tagen gesendet worden sind. Solche Inhalte, die auf Dauer von Interesse sind, möchten wir bis zu zwölf Monaten einstellen.

    Zudem wollen wir ein Onlinearchiv aufbauen. Wir haben in unseren Archiven ja viele interessante zeitgeschichtliche Dokumente, etwa zur Geschichte der DDR. Nach welchen Kriterien dieses Archiv zugänglich wäre und welche Inhalte wir darin vorhalten, müssten wir allerdings erst mit dem Gremien klären. Das ist also ein Projekt für die Zukunft.

    Golem.de: Auf welchen weiteren Kanälen wollen die öffentlich-rechtlichen Sender präsent sein?

    Wiedemann: Wir übertragen seit dem 1. April 2008 in Kooperation mit Zattoo sämtliche unserer Fernseh- und Hörfunkangebote als Stream zeitgleich im Netz. Angefangen haben wir mit allen Fernsehprogrammen, einschließlich der digitalen Kanäle, und jetzt sind die Hörfunkprogramme bei Zattoo gefolgt. Auf diese Weise sind wir im deutschsprachigen Raum live im Internet mit allen unseren Beiträgen dabei.

    Das Projekt läuft zunächst einmal für ein Jahr. In der Zeit wollen wir uns ansehen, wie das Angebot ankommt und wie es genutzt wird.

    Golem.de: Wie sieht es mit mobilem Fernsehen aus?

    Wiedemann: Für uns ist es wichtig, dass wir auf den Verbreitungswegen vorkommen, auf denen unsere Nutzer wertvolle Inhalte erwarten und nachfragen. Da die Nutzer Informationen zunehmend auch unterwegs abrufen, ist Handy-TV eine wichtige neue Verbreitungsplattform. Wenn wir als öffentlich-rechtlicher Rundfunk weiterhin meinungsrelevant sein wollen, dann müssen wir dort ebenso wie andere wichtige Inhalteanbieter auch vertreten sein. Deshalb haben wir den Ländern den Vorschlag gemacht, dass sowohl ARD als auch ZDF einen DVB-H-Kanal bekommen. Wir als ARD würden darüber nationale Inhalte wie regionale Inhalte anbieten, denn die Regionalität ist eine der Stärken der ARD.

    Golem.de: Sie haben mehrfach die Kosten für Internetangebote und für die Rechte erwähnt. Warum finanziert die ARD ihre Internetangebote nicht über Werbung? Dann könnte sie mehr im Internet machen.

    Wiedemann: Wir hatten von Anfang an ein Verbot von Werbung und Sponsoring im Netz. Wir beabsichtigen keine Ausweitung unserer Werbeaktivitäten, denn wir wollen den Verlegern im Netz keine wirtschaftliche Konkurrenz machen. Hier haben wir eine klare Trennung. Es gibt einen publizistischen Wettbewerb mit uns im Netz, aber keinen wirtschaftlichen - und dabei soll es auch bleiben.

    Golem.de: Dennoch sind die Zeitungsverleger Gegner der gebührenfinanzierten, öffentlich-rechtlichen Informationsangebote, weil sie die Konkurrenz fürchten.

    Wiedemann: Das Internet gehört nicht nur den Verlegern. Es ist ein Verbreitungsweg, der allen gehört, wo Platz für alle ist. Es ist ein wichtiges Anliegen, dass dort die Stimme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks genauso Gehör findet wie die Stimme anderer publizistischer Quellen in Deutschland. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten tragen mit ihren Angeboten wesentlich zur Meinungsvielfalt im Netz bei. Das Bundesverfassungsgericht hat zudem festgelegt, dass der Rundfunkbegriff dynamisch ist und nicht nur Bewegtbild und Ton, sondern auch Text und Bild umfasst. Wenn ARD und ZDF auch unter den veränderten Nutzungsbedingungen meinungsrelevant sein sollen, dann müssen wir auch an den neuen medialen Entwicklungen teilhaben. Das hat auch die Europäische Kommission bestätigt.

    Golem.de: Trotz des Streits mit den Verlegern kooperieren einige Anstalten mit Verlagen, beispielsweise der WDR mit der WAZ-Gruppe. Wie geht das zusammen?

    Wiedemann: Unter bestimmten Bedingungen, die wir klar definiert haben, geht das sehr gut zusammen. Wir gehen nur Kooperationen ein, die einen journalistischen und publizistischen Mehrwert für die Nutzer der Angebote bringen. Das heißt auch, dass wir über die Plattformen der Verlage für die ARD neue Nutzergruppen erreichen und so die Chance erhöhen, dass unsere öffentlich-rechtlichen Angebote noch breiter wahrgenommen werden. Das ist unser wichtigstes Anliegen.

    Für die Nutzer sind unsere Inhalte auf allen Verbreitungskanälen kostenlos. Sie bekommen also zusätzliche Plattformen, über die sie auf unsere Inhalte zugreifen können. Für die Gebührenzahler erhöht sich damit der Nutzen unserer Angebote. Dazu kommt, dass die WAZ für diese Inhalte marktübliche Preise zahlt. Die Einnahmen tragen dazu bei, die Gebühren zu senken.

    Golem.de: Sind Kooperationen auf Medienunternehmen beschränkt? Oder gibt es auch andere mögliche Partner?

    Wiedemann: Ich will da nicht vorgreifen, aber ich persönlich könnte mir auch Kooperationen mit gemeinnützigen Organisationen wie der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) vorstellen, für deren Zielgruppen unsere Inhalte interessant sind.


    quelle: Golem.de
     
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