US-Wahlkampf wird an der Zapfsäule entschieden

Dieses Thema im Forum "Politik, Umwelt, Gesellschaft" wurde erstellt von Dw4rf, 5. August 2008 .

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  1. 5. August 2008
    Zuletzt von einem Moderator bearbeitet: 15. April 2017
    Nicht erst seit seiner Rede in Berlin sehen viele den Demokraten Barack Obama schon im Weißen Haus. Doch trotz aller Lobeshymnen schafft er es nicht, seinen Herausforderer John McCain links liegen zu lassen. Denn Obama hat das wichtigste Thema des Wahlkampfes verpasst: die Angst der Amerikaner vor dem Benzinpreis.

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    John McCain und Barack Obama kämpfen um den Einzug ins Weiße Haus. Wer verfolgt welche Politik und worin liegen die Unterschiede? WELT ONLINE stellt ihr Privatleben und ihre politischen Ansichten vor. Den Anfang macht...

    Mit Beginn der Sommerpause liegen Barack Obama und John McCain Kopf an Kopf. Das ist eigentlich für beide keine gute Nachricht, aber für Obama ist sie schlechter. Gemessen an den Hymnen auf ihn müsste er zwei Monate nach Hillary Clintons Ausscheiden einen klaren Vorsprung erkämpft haben. Stattdessen liegen seit Wochen mal Obama, mal McCain knapp vorn. Warum?

    Siegesprognosen mit Blick auf Obama ruhen häufig auf der Annahme, die Immobilienkrise sei nach dem Irak der Sargnagel für die Republikaner. Neue Umfragen von Medien wie der „Washington Post“ oder dem Sender NBC legen aber nahe, dass die Hypotheken gar kein Angstthema sind. Angst macht den Wählern der Benzinpreis, und bei ihm hat McCain im Augenblick die Hand dichter am Wählerpuls.

    Auf die Frage nach der privaten Finanzlage sagten 63 Prozent „Sehr gut“ oder „Ok“. 34 Prozent erwiderten „Komme knapp klar“, „Rutsche ab“ oder „Bin in Not“. Auf der Rutsche sahen sich sieben, in Not vier Prozent. Die Zahlen haben sich seit George W. Bushs Amtsantritt 2001 kaum verändert. In einer Sondererhebung unter Kleinverdienern fand die Hälfte, die private Lage habe sich seit 2001 verschlechtert. 78 Prozent aber hielten ihren gegenwärtigen Job für sicher.

    Die Zahlen bedeuten: Es gibt keine nationale Krisenpanik. Es gibt die private Abstiegssorge eines Teils der Kleinverdiener, und ein vom privaten Umfeld gelöstes Stagnationsgefühl der breiten Wählerschaft. Die Ausnahme ist die Tankstelle. Auf die Frage nach privaten Kostenfaktoren nannten 37 Prozent das Benzin, 21 Prozent die Lebensmittelkosten, sechs Prozent Hypotheken. Entsprechend hielten zwanzig Prozent den Benzinpreis für die wichtigste Priorität des nächsten Präsidenten und nur vier Prozent den Wohnungsmarkt. Bei den Kleinverdienern fanden 45 Prozent das Benzin kaum mehr bezahlbar, nur halb so viele gaben Wohnungskosten an.


    Die Zapfsäule eint Amerika

    Nicht der Bankschalter, sondern die Zapfsäule eint Amerika. Das war der Grund, warum McCain über Obama als Hollywood-Schönredner herfiel. Denn Obama und die Demokraten bekämpften erbittert McCains Lösungsvorschlag: Bohren in Amerika, was das Zeug hält, sofort, und ohne Rücksicht auf Ökostudien. Zwei Drittel der Wähler stimmten ihm in einer Blitzumfrage zu. McCain witterte die Chance, Obamas Partei zu definieren: Volksfern, Hollywood, Paris Hilton.

    Die Unterhaussprecherin Nancy Pelosi, Demokratin, dritthöchste US-Politikerin und vielfache Millionärin, tat McCain den Gefallen, in die Falle zu laufen. Sie brach am Freitag Nachmittag im Kongress eine Debatte über Schürfrechte rabiat ab, befahl das Parlament in die Ferien, ließ das Licht löschen, die Mikrofone abstellen, die Kameras sperren, und begründete das alles mit dem Satz, es gehe „um die Rettung des Planeten“. Die Republikaner redeten im Dunkeln weiter und sangen mit den verbliebenen Zuschauern „God bless America“.


    Zwei Drittel der Amerikaner sind privat zufrieden


    Es war Demagogie dabei, aber sie war wirksam. Am Montag riss Obama das Ruder herum. Er ist nun auch für mehr Schürfrechte. Obama verband das mit einer grünen Offensive und einem Entlastungsscheck von tausend Dollar pro Familie, zahlbar von den Ölkonzernen. Das ist sein Pendant zum „Steuerurlaub“, dem Vorschlag McCains, die Mineralölsteuer in den Ferien auszusetzen. McCain, vor Jahresfrist selber gegen neue Bohrrechte, kann jetzt sagen, Obama falle wieder einmal um, und plane wieder eine neue Steuer. Der Republikaner kann sich auch auf Proteste des linken Flügels freuen. Vertreter wie der Schriftsteller Gore Vidal hatten Obama letzte Woche in einem Offenen Brief gewarnt, linksliberale Positionen preiszugeben.

    Obama wird nun eine Gelegenheit suchen, McCain so an die Leitplanke zu drängen wie dieser am Wochenende ihn. In einer nationalen Wirtschaftskrise wie 1929 wären derartige Manöver frivol . Aber Amerika lebt nicht in der Bush-Katastrophe. „Schlimmster Präsident aller Zeiten“ – das sind Worte einer Opposition, die legitimerweise endlich wieder regieren möchte. Zwei Drittel der Wähler sind privat zufrieden. Es ist dem Weißen Haus gelungen, einen Kettenkollaps von Banken abzuwenden. Solange das so bleibt, ist die Tankstelle Urlauberthema. Dort versucht Obama zu McCain aufzuschließen. Beim anderen Feriensujet, dem Irak, tastet McCain sich an Obamas feste Abzugsfrist heran und versucht, dabei möglichst unauffällig auszusehen.
    Die Siegessäule ist lange her. Die Wähler warten an der Zapfsäule. Aus Barack Obamas Hundert-Meter-Sprint ins Weiße Haus wird ein Schneckenrennen.

    Quelle: Welt.de
     
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