In einem fremden Kleid

Dieses Thema im Forum "Politik, Umwelt, Gesellschaft" wurde erstellt von ::TrOY, 25. Februar 2010 .

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  1. 25. Februar 2010
    Dieser Beitrag ist schon ein wenig älter, möchte Ihn euch aber nicht vorenthalten.

    Der Schleier ist im Westen Symbol von Fundamentalismus und Unterdrückung der Frau. Die Debatte über ein Verbot ist im Gang. Wie ist es in der Schweiz, eine Burka zu tragen? Ein Tag undercover.

    Das Tram ist voll. Sie sitzt am Fenster. Draussen flirren Häuserfassaden vorbei. Der nächste Halt. Leute steigen ein. Einer, Typ Sportlehrer mit Rucksack, steuert den Sitz neben ihr an. Bis er sie sieht. Dann steuert er doch lieber daran vorbei. Ebenso eine feste Dame, die sich mit einem Gehstock durch den Gang schiebt. Obwohl das Tram schon wieder fährt. Sechs Stationen, der Platz neben ihr bleibt frei.

    Umsteigen. Sie geht wie eine Greisin, um ihr Ziel sicher zu erreichen: die Tür. Unten auf dem Trottoir herrscht ein geschäftiges Durcheinander von Moonboots, Stiefeln, Lederschuhen. Es ist ziemlich kalt an diesem Morgen. Einen Fuss auf die erste Stufe, den anderen auf die zweite. So weit, so gut. Keine dreissig Sekunden vergehen, dann schreit eine sehr kleine Frau mit einer sehr grossen Sonnenbrille in ihr Gesicht: «Gopfertami!» Was ist passiert? Sie sind zusammengeprallt. Versehentlich.

    Einen Tag lang bin ich in Zürich unterwegs, fahre Tram, gehe in den Strassen, kaufe ein, in der Apotheke, der Migros. Nichts Besonderes. Besonders aber ist meine Erscheinung: total verhüllt. Über Thermohosen trage ich einen Rock und über dem Rock eine Burka. Eine afghanische, um genau zu sein: blau, hinten boden-, vorne hüftlang, aus einem synthetischen, bestickten Stoff. Mein Gesicht ist bedeckt. Sogar die Augenpartie, wo sich ein Fliegengitter-artiges Fenster befindet. Ein Kollege hat sie an Kabuls «Chicken Street» gekauft, einem Hippieparadies, vor der Herrschaft der Taliban.

    «Salam alaikum»

    Eigentlich hätte ich sie daheim ein bisschen tragen wollen. Zur Vorbereitung. Habe ich dann doch immer irgendwie aufgeschoben. Wahrscheinlich weil dieser Fetzen Stoff alles ist, was mir, meiner Kultur, meinem Geschlecht, meiner Generation fremd ist. Freiheit? Gleichberechtigung? Selbstverständlich. Wie das Studieren an der Uni oder das Ausüben eines Berufs, den wir uns aussuchen. Niemand sonst. Schon gar nicht ein Mann. Selbstverwirklichung ist unsere Religion. Vielleicht auch Liebe. Trotzdem oder gerade deshalb will ich wissen: Wie ist es, eine Burka zu tragen? In einer Zeit, in der man sich wieder besonders ängstigt vor islamischem Fundamentalismus. In einem Land, dessen Mehrheit schon allein gegen den Bau von Minaretten stimmt. Das nun darüber debattiert, auch dieses Gewand nicht mehr zu tolerieren.

    Tramhaltestelle. Menschen kreuz und quer. Am Rumstehen, Telefonieren, Lesen. Das Bild ist verzattert. Was sich in der unmittelbaren Mitte abspielt, ist gut erkennbar. An den Seiten wird alles schemenhaft. Das Neben-mir nehme ich nicht einmal instinktiv wahr, geschweige denn das Hinter-mir. Unangenehm. Im Übrigen: Der Stoff riecht würzig, kratzt ein bisschen auf der Nase. Atmen geht gut. So fremd das Gefühl auch ist, weckt es doch eine Erinnerung: an den Kinderkarneval. Wo man es lustig fand, dass man andere erkannte und sie einen nicht.

    Ein rüstiger Rentner mustert die Frau in der Burka. Von oben bis unten. Von unten bis oben. Schüttelt den Kopf. Geht weiter. Dreht sich wieder nach ihr um. Eine typische Szene. Diese nicht: «Salam alaikum», spricht sie ein chic gekleideter Mann an. Dann wedelt er mit seinem Ausweis vor ihr herum, hämmert mit dem Finger auf die Zeilen. «Afghanistan, Afghanistan!», insistiert er. Seine Zähne blitzen weiss, wenn er sie anlächelt. Permanent sozusagen. Er redet ununterbrochen: «Farsi . . . Kabul . . . ?» Sie senkt den Kopf, schweigt. Irgendwann hört auch er auf, sie anzulächeln. Bis zum Ende des Tages wird er fast der Einzige bleiben, der die Burkaträgerin respektvoll, gar freundlich behandelt.

    So ziemlich alle an der Haltestelle begaffen die Szene. Aus sicherer Distanz. Das berichtet eine Freundin, die dabei ist, um zu beobachten und zu lauschen. Ohne sie würde mir entgehen, dass der Rentner herumschleicht, um mich mit dem Handy zu fotografieren. Ebenso ein Touristenpärchen. Oder dass die Leute nicht hinter mir ins Tram steigen. Extra nicht.

    «Hämmer öppe scho Fasnacht?»

    Blicke können gewalttätig sein. Jemanden durchbohren, niederhauen, mit seiner Andersartigkeit konfrontieren. Gnadenlos. So fühlt die Frau in der Burka, wenn sie zu Fuss unterwegs ist, vom Bellevue zum Paradeplatz. Sie schaut in verschreckte, empörte bis hasserfüllte Gesichter. Alter, Geschlecht, soziales Milieu? Schielen bis glotzen tun fast alle. Touristen, die eben noch den See fotografieren wollten. Kinder, an den Händen ihrer Eltern. Geschäftsleute. Mütter. Teenies. Sogar die besoffenen Penner. Je grösser die Distanz, desto unverschämter und respektloser das Verhalten. Je geringer, desto eher wird so getan, als ob es total normal sei, völlig alltäglich, sie in der Burka, hier, im Schnee.

    Regelrechte Anfeindungen erfährt sie zum Beispiel an der Bahnhofstrasse, wo sie in die Schaufenster guckt, dabei den Schleier festhält, damit der nicht so flattern kann im Wind. Er ist inzwischen ganz feucht vom Atmen. «Säg emol, gaats äigentli no?», raunt ein Herr in dunkelblauem Mantel. Grüppchen in Bürokluft sagen Sachen wie: «Das ist jetzt so eine.» Oder: «Hämmer öppe scho Fasnacht oder was?» Andere lachen sie aus. Zwei schnittige Banker etwa, die vor einem Café rauchen. Das Ekligste: Zwei Typen mit säuberlich gegeltem Haar. «Hello», raunt der eine beim Vorbeigehen, der andere schnalzt, streift dabei ganz leicht den Schleier.

    Burka tragen – in der Schweiz heisst das verhüllt sein und doch ausgesetzt. Nichts sein und doch etwas. Ein Objekt. Eine wandelnde Projektionsfläche. Man könnte auch sagen: ein lebendes Minarett. Dass sich darunter eine Frau befindet, die sich das mit der Burka vielleicht auch nicht unbedingt so erträumt hat, darüber wird nicht nachgedacht. So weit geht die Phantasie dann doch nicht. Nicht einmal diejenige der Frauen.

    Wissen ist das eine. Zu fühlen, etwas ganz anderes. Wie es wäre, in dieses Gewand geboren worden zu sein. Nie Wind im Gesicht zu spüren, Regen auf der Haut oder Sonnenstrahlen. Nicht wandern, rennen, schwimmen zu können. Nicht zu tanzen oder zu flirten, nicht zu leben. Burka tragen macht mich traurig. Und spätestens nach dem Tomatenkaufen aggressiv. Als eine auf der Rolltreppe ausrastet und herumschreit: «Die ist ja das Allerletzte, die soll sich hier anpassen, die sollte man einsperren.» Es ist keine Randständige und auch keine Irre.

    Vor meiner Haustür streife ich das Ding vom Kopf. «Hallo hallo?» Hinter mir ist eine Taxitür aufgegangen, am Steuer sitzt ein Mann mit Turban und gemütlicher Wampe. «O, Entschuldigung! Ich dachte, Sie seien afghanische Frau.» Nein. Zum Glück nicht.
    Von Carole Koch

    www.nzz.ch
     
  2. 25. Februar 2010
    AW: In einem fremden Kleid

    Und nun? Irgendwie nichts besonderes. Manches Verhalten war zu erwarten und ist nicht gerechtfertigt. Bei anderen Sachen muss man sich nicht wundern (z.B. Blicke oder dass sich keiner neben einen setzt).
     
  3. 25. Februar 2010
    AW: In einem fremden Kleid

    naja, Kulturen prallen aufeinander.
    Sicherlich ist es nicht richtig, wie respektlos Muslimen begegnet wird, besonders Burkaträgerinnen, in abgeschwächter Form kann man das aber auch bei Kopftuchtragenden Frauen erkennen...

    Aber wie will man das verhindern?
    Davon abgesehen, dass man in Afghanistan mit nem Minirock vermutlcih auch nicht gerade normal behandelt wird.

    Wem kommt das von sich selbst bekannt vor?
    Mir ja.
     
  4. 26. Februar 2010
    AW: In einem fremden Kleid

    dieser artikel ist eine Kritik an die Kultur Burka zu tragen. Fand es nicht schlecht.
     
  5. 26. Februar 2010
    AW: In einem fremden Kleid

    Klar kann ich das nachvollziehen, dass es voll strange ist, so ein Ding anzuziehen. Aber hier wird ja nur verkleidet und nicht gelebt, was sicherlich auch noch eine ganz andere Sichtweise mit sich bringt.

    Punkt für mich ist, dass ich jetzt bestimmt niemand wegen dieses Artikel bemitleide der eine Burka trägt.. ach Gott, die Arme. Die Burka ist eines der deutlichsten Zeichen für Unterdrückung und radikalen Islam. Und wer davon überzeugt ist, dies im Namen seiner Religion tun zu müssen, der brauch sich auch nicht wundern wenn man in hiesigen Breitengraden angeglotzt wird, als ob man ein Eselkostüm trägt.

    Muss ich mich deshalb an diesen Anblick gewöhnen?

    Ok, Burkaträgerinnen seh auch ich eher selten, hab ich aber letztens mit zu tun gehabt... und klar, nur der Mann spricht, Frau mit Handschuhen und Vollverschleierung. Ich als Europäer, der Leuten ins Gesicht schaut, da fällt es mir echt schwer diejenige überhaupt ernstzunehmen.
     
  6. 26. Februar 2010
    AW: In einem fremden Kleid

    Ich sehe hier des öfteren Frauen in dieser oder ähnlicher Tracht und finde absolut nichts Aufmerksamkeit erregendes an ihr. Desweiteren käme es mir niemals in den Sinn jemanden wegen seiner Kleidung zu meiden, das widerspräche jedem Vernunftswesen und zeugte von geistiger Beschränkung.
     
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