Europapolitik - Im Namen der Reisefreiheit

Dieses Thema im Forum "Politik, Umwelt, Gesellschaft" wurde erstellt von graci, 27. Februar 2010 .

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  1. 27. Februar 2010
    Zuletzt von einem Moderator bearbeitet: 15. April 2017
    Die Europäische Union verwechselt Einreise mit Einwanderung - und schottet sich unnötig ab
    Von Tobias Bütow
    26.2.2010 - 17:05 Uhr

    © John MacDougall/AFP/Getty Images
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    Boote vor dem Brandenburger Tor, vormals benutzt von Flüchtlingen. Ein Werk des Künstlers Kalliopi Lemos.

    Mit der »Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte« schrieb die UN-Vollversammlung am 10. Dezember 1948 in Paris Menschheitsgeschichte. Einige der dort erstmals garantierten Grundrechte aber gerieten bald aus dem Blick, die Reisefreiheit beispielsweise: »Jeder hat das Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen und in sein Land zurückzukehren.« Auch wegen dieses dreizehnten Artikels der Deklaration verweigerten Ende 1948 die osteuropäischen Staaten, allen voran die Sowjetunion, ihre Zustimmung zur Menschenrechtserklärung. Ostdeutsche können davon erzählen, wie das Menschenrecht Reisefreiheit in der DDR mit Füßen getreten wurde. Die DDR-Reisegesetze - zementiert in der Mauer - teilten Familien. Den Mauerfall erlebten viele als überwältigendes Freiheitserlebnis. Zum Wort des Jahres wurde 1989 »Reisefreiheit« gewählt.

    Zwanzig Jahre später ist das grenzenlose Reisen in der Europäischen Union zur Grunderfahrung einer Generation geworden, ja zum Kern einer transnationalen europäischen Identität. Für das Europa des 21. Jahrhunderts ist Reisen eine konstitutive Freiheitserfahrung. Interrail, Schnäppchenflüge und Erasmus gelten als Selbstverständlichkeiten des European Way of Life. Als dank des Abkommens von Schengen 1995 die Grenzposten zwischen den Staaten ihre Funktion verloren, war dies ein Meilenstein der europäischen Integrationsgeschichte. Der schrankenlose Reiseverkehr ist neben dem Euro der spürbarste Akt der europäischen Einigung. Facebook gibt es auf der ganzen Welt, grenzenloses Reisen nur in Europa.

    Die Grenzen aber, die das Schengener Abkommen im Innern abbaute, wuchsen nach außen. Sicherheitsbedenken - angesichts der verminderten Kontrollen im Innern durchaus berechtigt - verselbstständigten sich. Die Migrations- und Visa-Politik der EU wurde zunehmend von sicherheitspolitischen Aspekten dominiert und mündete in ein ausgefeiltes System der Abschottung, das im Mittelmeerraum katastrophal versagt. Noch immer kennt die EU keine menschenrechtlich tragfähige Antwort auf das Flüchtlingsproblem. Am Rande unseres »europäischen Traumes« des grenzenlosen Reisens herrscht der Albtraum: Seit 1995 starben an der maritimen Südgrenze der EU weitaus mehr Menschen als jemals am Eisernen Vorhang.

    Jenseits der innereuropäischen Landgrenzen schaffen die Visa-Bestimmungen der EU ein eklatantes Freiheitsgefälle. Eine westukrainische Rentnerin, die unweit der polnisch-ukrainischen Grenze lebt, sieht sich nicht mehr in der Lage, ihre Schwester in Ostpolen zu besuchen, weil sie die Tagesreisen nach Kiew zu einer EU-Botschaft überfordern. Ein Professor im bosnischen Tuzla, der eine Konferenz in München besuchen möchte, muss mehrmals in die Hauptstadt Sarajevo zur deutschen Botschaft reisen, statt seine Studierenden zu betreuen. Die Forderung nach Reisefreiheit, die vor zwanzig Jahren auf den Straßen von Berlin, Magdeburg und Leipzig erklang, ist in Sarajevo, Tirana, Istanbul oder Lwiw noch immer zu hören. Für viele Europäer, die nicht der Europäischen Union angehören, ist »Schengen« keineswegs ein Symbol der Freiheit, sondern eines der Exklusion.

    Für einen Antrag auf Einreise verlangt die EU Bürgschaftserklärungen, Hotelrechnungen, Flugtickets, Kontoauszüge sowie Lohn-, Arbeits- oder Urlaubsbestätigungen vom Arbeitgeber. Die Antragsprozedur ist aufwendig, kostspielig und entwürdigend. De facto werden die Reisewilligen mit Reisebeschränkungen konfrontiert, die an die Reise(un)möglichkeiten von DDR-Bürgern in den achtziger Jahren erinnern. Das Botschaftspersonal bewilligt einen Reiseantrag, wenn die »Rückkehrindikatoren« überzeugen. In der DDR war ein solcher Rückkehrindikator die politische Loyalität oder eine familiäre Bindung. Im Zeitalter von Schengen ist es die ökonomische fruchtbarkeit des Antragstellers am Heimatort oder ein Bürge am Ziel der Reise.

    Es scheint, dass die EU Einreise mit Einwanderung verwechselt. Während wir unseren europäischen Traum leben, begegnen wir unserem europäischen Nachbarn mit einem pauschalen Betrugsverdacht, obwohl Sicherheitsexperten immer wieder darauf hinweisen, dass Kriminelle auch ohne Visum über die Grenze kommen. Auf manchen Familienfesten in Deutschland fehlen deshalb immer wieder Gäste aus dem Ausland, aus der (ersten) Heimat des Geburtstagskindes oder des Hochzeitspartners. Selbst im Todesfall eines in der EU lebenden Verwandten muss ein Reisewilliger mit klaren Rückkehrindikatoren überzeugen. Wenn alle Unterlagen vorliegen, ist die Beerdigung meist schon vorbei.

    Es ist höchste Zeit für eine Überarbeitung der Reisegesetze der EU, die die Perspektive der Reisewilligen mitdenkt. Nirgendwo stellt sich diese Frage drängender als auf dem Balkan. Pünktlich zum Weihnachtsfest 2009 sind Makedonien, Serbien und Montenegro in den Genuss der Reisefreiheit gekommen, nachdem die von Brüssel geforderten Reformprojekte erfolgreich realisiert worden sind. Doch während Skopje mit einem Feuerwerk die neue Freiheit begrüßte und Belgrad und Podgorica Flugreisen für Studierende nach Brüssel und Rom verschenkten, wartet Bosnien und Herzegowina seit Monaten auf einen Termin für die Visa-Liberalisierung.

    Zu Recht fühlt man sich benachteiligt, sind doch die sicherheitsrelevanten, migrationsrechtlichen und innenpolitischen Forderungen der EU allesamt erfüllt. »Die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union, die Staaten des Westlichen Balkans fair und gleich zu behandeln, hat gelitten«, resümiert die Visa-Berichterstatterin des Europäischen Parlaments, Tanja Fajon. Bosnien und Herzegowina hat seine Arbeit getan, jetzt müssen die Innenminister der EU handeln.

    Das Kosovo droht unterdessen zu einem isolierten Fleckchen Erde in Europa zu werden. Serbien schränkt die Reisefreiheit der Kosovaren zielstrebig ein. Und die Europäische Union hat noch immer keinen Visa-Dialog mit dem Kosovo eröffnet. Derzeit dürfen Kosovaren ohne Visa-Pflicht lediglich in fünf Länder einreisen - Afghanen immerhin in 22 Länder. Die Mehrheit der Abgeordneten des Europäischen Parlaments kritisiert, dass die Kommission den Status des Kosovos mit der Reisefreiheit der Kosovaren verbindet. Weil fünf EU-Staaten - Spanien, Slowakei, Rumänien, Zypern, Griechenland - aus innenpolitischer Sorge um ihre eigenen Minderheiten das Kosovo nicht anerkennen, fehlt den Menschen im jüngsten Staat Europas eine Freiheitsperspektive.

    Eine Liberalisierung der Reisegesetze ist eine historische Chance für Europa. Mit einem solchen Akt könnte die EU anderen Gesellschaften signalisieren, dass sie zur europäischen Familie gehören, selbst wenn sie vorerst noch keinen Kandidaten- oder Mitgliedsstatus in der EU besitzen. Das entscheidende Wort hierüber sprechen in der EU die nationalen Innenminister. Angesichts der jüngsten deutschen Geschichte ist die Bundesregierung unter Angela Merkel ganz besonders gefragt: Wenn wir die Freude und die Freiheitsschwüre anlässlich des 20. Jahrestages des Mauerfalls tatsächlich ernst gemeint haben, dann sollten wir die Freiheit, die uns 1989 geschenkt wurde, auch anderen gewähren.
    Copyright: DIE ZEIT, 25.02.2010 Nr. 09
    Adresse: Europapolitik: Im Namen der Reisefreiheit | ZEIT ONLINE

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    kann ich zustimmen in gewisser Weise: Für aussereuropäer ist es sehr schwierig nach Europa reinzukommen. für uns Europäer sehr einfach. Als ich in Ghana war, habe ich viele Geschichten gehört und komme zum ergebniss, dass das Alles nur ein Geschäft ist: hast du geld, bist du willkommen dein Geld bei uns auszugeben. Hast du es nicht, wollen wir dich nicht, weil du wahrscheinlich in EU arbeiten wirst und unser Geld in dein Land exportieren willst.
    Letztendlich ist es einfach zu schwer zu differenzierne, ob ein Mensch nur zu einer Beerdigung will oder sich da illegal niederlassen oder arbeiten will. Also ich finde die EU macht schon genug Wohlstandsexport in dem sie wirtsch. schwächere Länder wie die neuen EU Mitglieder aufnimmer und sie mit Zuschüssen bewirft, damit sie sich schneller entwickeln.
    Ausserdem hat die EU keine Pflicht alle Menschen dieser Welt aufzunehmen, also ich finde der Artikel ist mir zu links. die totale Reisefreiheit hört sich zwar schön an, ist aber noch Utopie.
     
  2. 27. Februar 2010
    AW: Europapolitik - Im Namen der Reisefreiheit

    sehr guter Artikel, BW ist raus.
    Sehe es genauso, versteh allerdings auch die EU.
    Wir beuten länder wie Bsp. Ghana aus, da wäre es ja quatsch unsern geraupten wohlstand wieder an die eigentlichen Besitzer abzugeben. Ich sag nur stichwort Italien, wo immerwieder Berichte die Medienlandschaft durchziehen, die von versenkten Flüchtlingsboten handeln.
    Alles in allem finde ich die Disskusion dämlich, kommt so einer hierher und:
    - Arbeitet,schwarz oder nicht is egal, dann muss er auch in Deutschland kaufen. Also fördert er die Wirtschaft. Das Demographische Problem ist bekannt, also jeder Zuwachs der Bev. eig. erwünscht.
    - Arbeitet nicht, dann kann er auch keine Sozialleistungen beziehen solange er illegal hier ist.

    sehe da wirklich kein problem
     
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