Wachstum? Diese Zeiten sind vorbei

Dieses Thema im Forum "Politik, Umwelt, Gesellschaft" wurde erstellt von Mocard, 18. Mai 2010 .

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  1. 18. Mai 2010
    Den Griechen sei Dank: Das Pleite-Land hat uns allen gezeigt, dass Wachstum auf Pump nicht mehr funktioniert. Damit steht auch das deutsche Wirtschaftsmodell zur Disposition - es drohen Stagnation und brutale Verteilungskämpfe.

    Stellt euch vor, es herrscht Finanznot, und keiner leiht den Regierungen mehr Geld. Ende der vorvergangenen Woche war es so weit. Wieder einmal, wie im Herbst 2008, kam der Geldhandel zum Erliegen. Diesmal waren nicht Immobilienkredite der Auslöser, sondern es war das Misstrauen gegenüber den Schuldpapieren der Staaten. In einem SPIEGEL-Interview verriet Jean-Claude Trichet, der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB): "Die Märkte funktionierten nicht mehr, es war fast wie nach der Lehman-Pleite."

    Endlich ist es so weit. Die Regierenden in aller Welt sind, für alle sichtbar, dort angekommen, wo sie schon lange hingehörten: auf einer Ebene mit den Zocker-Bankern. Verflogen nun die Illusion, mit immer neuen Schulden die Wachstumsmaschine in den entwickelten Industriestaaten auf Touren halten zu können; vorbei die Hoffnung, die staatlichen Kassen könnten dem Gemeinwesen weiter als "lender of last resort", als letzte Zuflucht der Kreditsuchenden, dienen, wenn bei den Banken gar nichts mehr geht. Die Staaten selbst haben ihre Kreditwürdigkeit verspielt.
    Der Offenbarungseid ist geleistet, seit die EZB sich zum Ankauf von Staatsanleihen jedweder Qualität verpflichtet hat - "entgegen allen Schwüren und gegen das ausdrückliche Verbot in ihrer Satzung", wie der ehemalige Bundesbank-Chef Karl Otto Pöhl feststellt. Jetzt lässt sich der Staat das Geld drucken, das ihm die Bürger nicht mehr leihen. Konrad Adenauer hätte in solch einem Moment von wahrhaft historischer Dimension gesagt: "Die Situation ist da."

    Der zentrale Glaubenssatz steht zur Disposition

    Wir sollten den Griechen dankbar sein. Sie haben das verlogene Schuldenspiel so grotesk überzogen, dass nun weit über den Hellenen-Staat hinaus das Modell eines Gemeinwesens, das sich immer aufs Neue Wachstum und Wohlleben mit Krediten erkauft, keine Zukunft mehr hat.

    Wird es den Industriestaaten der entwickelten Welt gelingen, die Wende einzuleiten? Gibt es Hoffnung auf staatliche Haushalte, in denen nur noch so viel ausgegeben wird, wie durch Steuern und Gebühren hereinkommt?

    Viele ermutigende Signale gibt es nicht. Die Regierenden tun sich ja schon schwer, die notwendigen Lehren aus dem existenzbedrohlichen Bankencrash zu ziehen. Sie schrauben hier ein bisschen an der Eigenkapitalausstattung, dort ein wenig an den Vergütungspraktiken - aber nach wie vor treiben die Investmentbanker ihre wilden und undurchsichtigen Geschäfte. Die Gefahr, dass der Zusammenbruch einer Großbank das gesamte Bankensystem in den Abgrund ziehen könnte, ist sogar noch größer geworden, weil es nun noch weniger und umso größere Akteure im unheilvollen Investmentbanking gibt.

    Wenn es schon so schwer ist, die notwendigen Konsequenzen aus dem privaten Schuldendesaster zu ziehen - um wie viel mühsamer wird da wohl der Ausstieg aus der staatlichen Pumpwirtschaft sein. Hier steht, wenn tatsächlich Ernst gemacht wird mit nachhaltigem Haushalten, der zentrale Glaubenssatz der Industriegesellschaften zur Disposition: dass nur mit Wachstum, mit möglichst kräftigem Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand zu sichern sind.

    Illusion vom stetig steigenden Sozialprodukt

    Seit vielen Jahrzehnten schon wird die Illusion vom stetig steigenden Sozialprodukt mit immer neuen Staatsschulden aufrechterhalten. Es begann in den Siebzigern, als die damalige sozial-liberale Koalition die ersten schweren Konjunkturkrisen mit staatlichem "Deficitspending" zu überwinden suchte - und versäumte, die zu diesem Zweck aufgenommenen Schulden im nachfolgenden Aufschwung zurückzuzahlen. Stattdessen wurde der Sozialstaat immer weiter ausgebaut, auch von der nachfolgenden schwarz-gelben Koalition.

    Immer neue Schulden sattelten die Regierenden auf die alten Verbindlichkeiten drauf. Da galt es schon als Erfolg, wenn die Neuverschuldung in einem Jahr mit gut laufender Wirtschaft ein wenig geringer ausfiel als im Jahr davor. Solche Selbstverständlichkeiten wurden gefeiert wie ein Schuldenabbau - obwohl doch die Gesamtverschuldung weiter stieg.

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    Wie in Deutschland lief es auch andernorts in den westlichen Industriestaaten und in Japan. Der in den Nachkriegsjahrzehnten so überaus erfolgreichen Kombination von Demokratie und Marktwirtschaft haftete bei der öffentlichen Finanzwirtschaft ein gravierender Konstruktionsfehler an: Regierungen und Parlamente agieren in Wahlperioden von vier bis fünf Jahren; die Rückzahlung der Schulden aber reicht weit über diesen Planungshorizont hinaus. Jene politisch Verantwortlichen, die sich heute mit neuen Ausgaben Beliebtheit erkaufen, sind längst aus dem Amt, wenn übermorgen die Kredite fällig werden.
    So ist zu erklären, dass die jeweils Regierenden sich wenig um den Schuldenabbau kümmerten - und dass es heute fast unmöglich erscheint, die aufgelaufenen Verbindlichkeiten jemals abzutragen. Die Griechen, vermerkte Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, seien wohl nicht in der Lage, ihre Schulden ordnungsgemäß zurückzuzahlen - und erntete für diese wahrheitsgemäße Aussage wütende Proteste der Berliner Politiker.

    Doch Ackermann untertrieb. Kaum einer der großen Industriestaaten wird seine Schulden jemals voll zurückzahlen.

    Horrende Staatsschulden: Wachstum? Diese Zeiten sind vorbei - SPIEGEL ONLINE
     
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