Embedded Justice - Rechtssicherheit für Kriegsverbrecher?

Dieses Thema im Forum "Politik, Umwelt, Gesellschaft" wurde erstellt von Melcos, 3. März 2012 .

  1. 3. März 2012
    Embedded Justice 14.02.2012

    BERLIN (Eigener Bericht) - NS-Opfer und Juristen warnen vor einer Wiedereinführung der
    Militärjustiz in Deutschland. Hintergrund ist die erklärte Absicht der Bundesregierung,
    einen zentralen "Gerichtsstand" für in ausländischen Kriegsgebieten eingesetzte Soldaten
    einzurichten. Begründet wird diese "Zuständigkeitskonzentration" mit "dienstrechtlichen
    Besonderheiten", die von Staatsanwälten und Richtern eine umfassende "Kenntnis der
    militärischen Abläufe und Strukturen" verlangten. Die Schaffung einer "zentralen
    Zuständigkeit der Justiz" bei Bundeswehrstrafsachen war bereits 2009 kurz nach dem von
    einem deutschen Oberst befohlenen Massaker im afghanischen Kunduz durch die
    Regierungsparteien vereinbart worden. Ziel des nun vorliegenden Gesetzentwurfs ist es
    dementsprechend, "Rechtssicherheit" für an Kriegsverbrechen beteiligte Soldaten zu
    schaffen, indem eine "zügige Erledigung" der Verfahren gewährleistet und die "psychische
    Belastung" der Täter minimiert wird. Kritiker erinnern in diesem Zusammenhang an eine
    zentrale Funktion der NS-Militärjustiz im Zweiten Weltkrieg: Diese habe die Aufgabe
    gehabt, "Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung okkupierter Länder zu legitimieren".

    Rechtssicherheit
    Das Bundesjustizministerium hat unlängst erneut den "Entwurf eines Gesetzes für einen
    Gerichtsstand bei besonderer Auslandsverwendung der Bundeswehr" vorgelegt. Der Text
    entspricht weitgehend dem ursprünglichen Referentenentwurf vom April 2010, der
    ebenfalls die Schaffung einer zentralen Justizbehörde für in ausländischen Kriegsgebieten
    eingesetzte Soldaten vorsah. Begründet wird die angestrebte
    "Zuständigkeitskonzentration" mit den "besonderen Kenntnissen", die Richter und
    Staatsanwälte für ihre Ermittlungen benötigten: Zu berücksichtigen seien ebenso die
    "rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen der besonderen
    Auslandsverwendung" wie die "konkrete(n) militärische(n) Abläufe und Strukturen", heißt
    es. Zugrunde liegt dem aktualisierten "Referentenentwurf" offenbar die Annahme, dass
    Bundeswehrangehörige auch in Zukunft Kriegsverbrechen begehen. Wie das
    Bundesjustizministerium erklärt, sollten nicht zuletzt "dienstrechtliche Besonderheiten im
    Rahmen einer möglichen Rechtfertigung der Tat" eine zentrale Rolle spielen. Dazu
    passend wird an Straftaten in Kriegsgebieten beteiligten Soldaten "Rechtssicherheit" in
    Aussicht gestellt: Um die "psychischen Belastungen", denen sie "auf Grund ständiger
    Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt" seien, nicht zu "verstärken", könnten sie eine
    "zügige Erledigung der sie betreffenden Strafverfahren" erwarten, heißt es.[1]

    Spezialisten
    Die erklärte Absicht, eine Zentralstelle für Militärstrafsachen einzurichten, stößt sowohl
    innerhalb der Regierungsparteien als auch bei den oppositionellen Sozialdemokraten auf
    ungeteilte Zustimmung. So erwartet etwa Ernst-Reinhard Beck (CDU), der dem
    Verteidigungsausschuss des Bundestages und der Parlamentarischen Versammlung der
    NATO angehört, davon "eine signifikante Verbesserung in der Frage, wie Soldaten
    behandelt werden".[2] Der Chef der bayerischen Staatskanzlei, Thomas Kreuzer (CSU),
    begrüßt die in einer für die Verbrechen von Kriegsteilnehmern zuständigen Behörde
    anzutreffende "hohe Fach- und Sachkenntnis" und fordert darüber hinaus besondere
    Schulungsmaßnahmen für die dort tätigen Justizbeamten: "Staatsanwälte brauchen eine
    entsprechende Erfahrung und müssen auch in Krisengebiete."[3] Ähnlich äußert sich der
    verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundstagsfraktion, Rainer Arnold: "Die langen
    Verfahrenszeiten und die überhaupt nicht vorhandene Kompetenz für die Sondersituation
    im Einsatz sind schon ein Grund für eine besondere Expertise."[4] Die Wahl des Standorts
    der neuen Militärgerichtsbarkeit wird von der Bundesregierung ebenfalls mit den dort
    anzutreffenden "Spezialisten" begründet: "Ich habe Kempten vorgeschlagen, weil dort
    schon heute die bayerische Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Auslandseinsätze sitzt",
    erklärt Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP): "Die spezialisierten
    Ermittler kennen sich in den militärischen Abläufen aus und bringen die notwendige
    Erfahrung für Ermittlungen im Ausland mit."[5]

    Ein besonderer Rechtsstatus
    Die Schaffung einer "zentralen Zuständigkeit der Justiz" bei Bundeswehrstrafsachen im
    Ausland war bereits 2009 von den Regierungsparteien CDU und FDP in ihrem
    Koalitionsvertrag vereinbart worden.[6] Kurz zuvor hatte der deutsche Oberst Georg Klein
    nahe dem afghanischen Kunduz einen Bombenangriff befohlen, bei dem 142 Menschen,
    zumeist Zivilisten, getötet worden waren.[7] Während der damalige Verteidigungsminister
    Franz Josef Jung (CDU) staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen Klein von vornherein
    ablehnte, beklagte der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes, Oberst Ulrich
    Kirsch, die vermeintliche "Rechtsunsicherheit" im Fall Klein und forderte "einen ganz
    anderen Rechtsstatus" für Soldaten im Krieg.[8] Folgerichtig bezeichnete Kirsch den jetzt
    vorgelegten "Referentenentwurf" des Bundesjustizministeriums als "Schritt in die richtige
    Richtung", der einer "langjährige(n) Forderung" seiner Organisation entspreche.[9]

    Nichts gelernt
    Scharfe Kritik kommt indes von der "Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz". In
    einem offenen Brief an alle Bundestagsfraktionen wenden sich deren Vorsitzender Ludwig
    Baumann und der renommierte Militärhistoriker Manfred Messerschmidt gegen jeden
    Versuch einer "Wiedereinführung einer Sondergerichtsbarkeit für Militärangehörige". Dies
    wäre "angesichts der Verbrechen, die in der NS-Zeit von der Wehrmachtjustiz begangen
    worden sind, (...) ein Beispiel für mangelndes Lernen des Gesetzgebers aus der
    Geschichte", heißt es in dem Dokument.[10] Während des Zweiten Weltkriegs fällte die
    deutsche Militärjustiz allein 30.000 Todesurteile gegen Kriegsdienstverweigerer,
    Deserteure und andere sogenannte Wehrkraftzersetzer; 20.000 wurden vollstreckt. Der
    Bundesgerichtshof stellte 1995 fest, die damalige Militärgerichtsbarkeit könne zu Recht als
    "Blutjustiz" bezeichnet werden.[11]

    Ein Freibrief
    Auch der vormalige Richter am Oberlandesgericht, Helmut Kramer, sieht in dem jetzt
    vorgelegten "Referentenentwurf" des Bundesjustizministeriums den Versuch, die deutsche
    Militärjustiz "durch die Hintertür" wieder einzuführen. Er verweist insbesondere auf die
    Gefahr, dass die in Aussicht gestellte "Rechtssicherheit" für Soldaten im Kriegseinsatz von
    Seiten der Bundeswehr als "Freibrief" für Massaker an Zivilisten gewertet werden könne.
    Dies wiederum entspreche, urteilt Kramer, einer "wichtigen, völkerrechtlich auch während
    des Zweiten Weltkriegs unbestrittenen Funktion einer Militärjustiz" - "militärische
    Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung okkupierter Länder zu legitimieren".[12]

    Bitte lesen Sie auch unsere Rezension zu dem von Joachim Perels und Wolfram Wette
    herausgegebenen Band "Mit reinem Gewissen. Wehrmachtrichter in der Bundesrepublik
    und ihre Opfer" sowie Auszüge aus dem Offenen Brief der "Bundesvereinigung Opfer der
    NS-Militärjustiz".


    [1] Bundesministerium der Justiz: Entwurf eines Gesetzes für einen Gerichtsstand bei besonderer
    Auslandsverwendung der Bundeswehr, 25.01.2012
    [2], [3] Bundeswehr: Militärjustiz kommt nach Kempten; Nachrichten Augsburg Bayern - Augsburger Allgemeine 22.01.2012
    [4] Damit die Strafe auf dem Fuße folgt; Aktuelle Nachrichten aus Sachsen-Anhalt, Mitteldeutschland und der Welt - mz-web.de - Mitteldeutsche Zeitung 29.01.2012
    [5] Kempten soll Straftaten von Soldaten im Ausland zentral verfolgen; nachrichten.de - Alle News deutscher Medien 23.01.2012
    [6] Zitiert nach Helmut Kramer: Kriegsjustiz durch die Hintertür. In: Joachim Perels/Wolfram Wette (Hg.):
    Mit reinem Gewissen. Wehrmachtrichter in der Bundesrepublik und ihre Opfer. Berlin 2011
    [7] s. dazu Die Bomben von Kunduz , Termini Technici , Die Gesetze des Krieges und Im
    Sinne der Soldaten
    [8] Zitiert nach Helmut Kramer: Kriegsjustiz durch die Hintertür. In: Joachim Perels/Wolfram Wette (Hg.):
    Mit reinem Gewissen. Wehrmachtrichter in der Bundesrepublik und ihre Opfer. Berlin 2011
    [9] Wer zu schnell schießt, muss sich in Kempten verantworten; Schwäbisches Tagblatt 25.01.2012
    [10] Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz e. V.: Offener Brief an die Vorsitzenden der Fraktionen
    des Deutschen Bundestages, 31.01.2012. S. dazu Nichts gelernt
    [11] Zitiert nach Rolf Surmann: Neue Militärjustiz? Überlegungen zu ihrer Wiedereinführung in der
    Bundesrepublik Deutschland von 1949 bis 2010. In: Joachim Perels/Wolfram Wette (Hg.): Mit reinem
    Gewissen. Wehrmachtrichter in der Bundesrepublik und ihre Opfer. Berlin 2011. S. auch unsere
    Rezension
    [12] Helmut Kramer: Kriegsjustiz durch die Hintertür. In: Joachim Perels/Wolfram Wette (Hg.): Mit reinem
    Gewissen. Wehrmachtrichter in der Bundesrepublik und ihre Opfer. Berlin 2011

    Quelle: Informationen zur Deutschen Außenpolitik

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    Grundsätzlich würde der 1956 geschaffene 2. Absatz des 96. Artikel im Grundgesetz eine Militärjustiz erlauben. Doch würde solch eine Militärjustiz dazu führen das Soldaten gleicher sind! Warum dann nicht auch eine extra Justiz für Lokomotivführer?

    Die Einführung der Militärjustiz in Deutschland hat eine lange Tradition. Ehemalige NS-Wehrmachtsrichter haben in der BRD an ihr gearbeitet, erst geheim. In den 1980ern führte das zu einem politischen Skandal. Das damalige Konzept für die Militärjustiz sah sogar vor, dass Richter an Kampfhandlungen teilnehmen sollen!

    Heute begnügt man sich mit Richtern, die über einschlägige Erfahrung verfügen und sich dem Geist der Truppe verbunden fühlen. Ein geeignetes Auswahlverfahren, bei dem das Bundesverteidigungsministerium mitbestimmen kann garantiert heutzutage Richter die im Sinne der Bundeswehr Rechtfertigungen aussprechen.

    Der deutsche Rechtsstaat braucht keine extra Militärjustiz, auch nicht im Verteidigungsfall. Die zivilen Gerichte haben die notwendige Distanz zur Truppe und können somit am objektivsten entscheiden, ob ein Kriegsverbrechen vorliegt oder nicht.
    Der Kunduz-Fall ist das beste Beispiel für eine Rechtssprechung im Sinne der Bundeswehr...
     
  2. 4. März 2012
    AW: Embedded Justice - Rechtssicherheit für Kriegsverbrecher?

    Volle Zustimmung. Gerade die Deutschen müssen an jeder Handlung gehindert werden, die normale Rechtsstaatstrukturen verlässt. Die hohe Ideologisierung der Deutschen wird sich in diesen Militärgerichten niederschlagen, der einzige Grundsatz wird sein: Deutsche Soldaten können keine Kriegsverbrechen begehen.
     
  3. 4. März 2012
    AW: Embedded Justice - Rechtssicherheit für Kriegsverbrecher?

    Jeder Staat muss das verhindern, nicht nur die Deutschen. Seit ungefähr 10 Jahren scheint aber gerade das innerhalb unserer zivilisierten Gesellschaft keine Rolle mehr zu spieln.

    Ich erinnere an das Haditha-Massaker aus dem Irak.

    Quelle
     
  4. 4. März 2012
    AW: Embedded Justice - Rechtssicherheit für Kriegsverbrecher?

    Ab einer bestimmten Masse an Verfahren und besonderen Zeiten (Kriegszustand) sind Militärgerichte unabkömmlich.
    Es ist Fragwürdig das man nachwievor hysterisch darauf achtet Soldat und Zivilist vom Status her zu trennen, die Person aber dem Zivilstrafrecht unterstellt. Ganz oder gar nicht.
     
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