Geschäft mit Raubkopien Wie kino.to Millionen verdiente

Dieses Thema im Forum "Szene News" wurde erstellt von ThKo4, 14. Juni 2012 .

  1. 14. Juni 2012
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    Ein illegales Unternehmen, entstanden aus einem Hobbyprojekt, Millionenumsätze, Verrat, schließlich Haftstrafen: Der Fall der Raubkopie-Seite kino.to ist beispiellos in der deutschen Kriminalgeschichte. Der Ex-Chef wurde nun zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt - doch wer sind seine Hintermänner?

    Am 8. Juni 2011 blickte Dirk B. in die Mündungsöffnungen von Polizeiwaffen. Großrazzia, 250 Einsatzkräfte, 20 Durchsuchungen. B. selbst und zwölf seiner Komplizen landeten in Untersuchungshaft, ihre Computer wurden beschlagnahmt. Die Kriminalpolizei übernahm die extrem populäre Seite kino.to, Abertausende Nutzer des illegalen Streaming-Portals mussten sich plötzlich anderswo nach kostenloser Unterhaltung umsehen. Vor dem Gebäude der Staatsanwaltschaft in Dresden zogen Demonstranten mit Anonymous-Masken auf, um gegen die "Content-Mafia" zu protestieren. Die meisten aber sind sich einig, selbst die Piratenpartei: Kino.to war eine kriminelle Organisation.

    B. und seine Komplizen stürzten wohl nur aus einem Grund: Einer der Ihren wurde umgedreht. Mit dem Erfolg von kino.to hatte auch der Druck zugenommen, es kam zu Intrigen, zu Unstimmigkeiten. Schließlich packte mindestens ein Mitglied der Truppe aus, gegen Zahlung einer sechsstelligen Summe verriet er der Lobbyorganisation GVU (Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverstößen), wie das System kino.to funktionierte: Neben dem Link-Verzeichnis betrieben Dirk B. und seine Komplizen mehrere der Filmseiten, die sogenannten Filehoster, gleich selbst.

    Aus dem Standardmodell der Tauschbörsen - wer herunterlädt, lädt auch hoch, der Austausch findet zwischen den Teilnehmern statt, Geld fließt keines - hatte B. ein Geschäftsmodell gemacht: Über kino.to ließen sich Filme direkt ansehen, umgeben von Werbung. Doch es gibt den begründeten Verdacht, dass hinter ihm noch andere standen, die nach wie vor auf freiem Fuß sind.

    Stolz auf die erste Million

    Über Werbung und Provisionen floss Geld - sogar von Unternehmen wie Google. Über Google-Anzeigen im Angebot nahm Dirk B. beispielsweise 9801,92 Euro ein. Andere Kunden zahlen deutlich mehr, die Ermittler finden Einnahmen in Höhe von 6,7 Millionen Euro allein bei Dirk B. Nach Abzug der Kosten für schnelle Server und fleißige Mitarbeiter, die Links sortierten und prüften, blieb Dirk B. genug übrig für einen getunten Super-Mercedes, ein Haus in Leipzig und einen Wohnsitz auf Mallorca. Der Schulabbrecher, dessen Fußboden-Firma bankrott gegangen war, soll mächtig stolz auf seine erste Million gewesen sein.

    Der illegale Service stimmte. Auch wenn unter den Angeboten, für die da auf kino.to und den angeschlossenen Filehostern geworben wurde, öfter mal Abo-Fallen waren. Für die von der GVU eingeschalteten Ermittler waren die Finanzen ein wichtiger Ansatz: Wo Geld fließt, gibt es Spuren, gibt es Profiteure, gibt es Schuldige.

    Werbung geht weiter

    Keine harmlose Link-Sammlung sei kino.to, sondern eine hochkriminelle Vereinigung mit parasitärem Geschäftsmodell, sagen die Ankläger. Nach und nach wurde den wichtigsten Beteiligten der Prozess gemacht, vier Urteile sprach das Amtsgericht Leipzig, der Technikchef und Dirk B. landeten vor dem Landgericht. Einer nach dem anderen packte nach vielen Monaten in U-Haft aus und gestand. Zuletzt handelte Dirk B. einen Deal aus, am Donnerstag wurde er zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Ohne Geständnis hätten es noch mehr sein können.

    Damit könnte der Fall abgeschlossen sein. Aber nach dem Aus von kino.to gibt es sehr ähnliche Portale, auf denen offenbar weiter illegal Geld mit Raubkopien verdient wird - und dort taucht ein wichtiger Werbekunde wieder auf, der schon für einen Großteil der Umsätze bei kino.to gesorgt hatte. Schaut man genauer hin, drängt sich ein Verdacht auf: Es gab und gibt einflussreiche Hintermänner, die sich bisher einem Zugriff entzogen haben.

    Die Geschichte von kino.to: Rückblick auf ein kriminelles Start-up

    Um die Jahrtausendwende entdeckt der geschiedene und verschuldete Fußbodenleger Dirk B. das Internet. Er bastelt sich eine Seite, auf der er Links zu deutschsprachigen Filmen sammelt, die sich über ein Filesharing-Netzwerk namens Edonkey herunterladen lassen. 2002 registriert Dirk B. die Adresse saugstube.de auf seinen Namen. Am Anfang sind es rund tausend Euro im Monat, die er damit verdient.

    Er sei damals in die "Internetwerbewirtschaft" eingestiegen, sagte er im Prozess. Dirk B. kann nicht programmieren, aber Menschen überzeugen. Ein Hamburger Gymnasiast hilft ihm, kümmert sich darum, dass die Saugstube eine vernünftige Datenbank bekommt. Der Besitzer einer kleinen Web-Firma mietet für ihn Speicherplatz in den USA an, weil es dort billiger ist und Dirk B. kaum Englisch spricht.

    Ein Jahr später stellt die GVU Strafantrag. Dirk B. kommt mit 3900 Euro Geldstrafe glimpflich davon. Saugstube läuft weiter, unter einer anderen Adresse. Aufhören kommt wohl nicht in Frage, seine Fußbodenfirma geht pleite, er hat Schulden. B. wird vorsichtiger, gibt seinen Namen nicht mehr an. 2005 zieht er nach Spanien, erst nach Lloret de Mar, dann nach Mallorca. Zehn Helfer arbeiten ihm nun zu, die meisten kennen einander nur unter Pseudonym. Einen der Link-Sammler zitiert Onlinekosten.de damals mit den Worten, nur der Chef verdiene mit der Saugstaube Geld, bezahle dafür aber auch die Technik.

    Risiko gegen null

    Von einem wichtigen Werbepartner bekommt Dirk B. dann einen Tipp: Auf einem amerikanischen Raubkopie-Portal lassen sich Filme direkt ansehen, ohne Herunterladen und ohne Extra-Software, dafür mit mehr Werbung drumherum. Die Idee scheint B. vielversprechend.

    Für die Nutzer hat dieses Modell einen Vorteil: Bei einer P2P-Börse wie Edonkey ist jeder Nutzer in der Regel auch Uploader und kann deshalb wegen Verbreitung von Raubkopien belangt werden. Damals klinken sich auch Piratenjäger in die Tauschbörsen ein, die genau protokollieren, wer da welches Material tauscht. Etlichen Edonkey- und Torrent-Nutzern flattern Abmahnungen ins Haus. Bei Filehostern dagegen lädt der Nutzer nur herunter. Das geht schnell und das Risiko, belangt zu werden, geht gegen null.

    Kino.to geht im Frühjahr 2008 online. Bastian P., der bereits die Saugstube programmiert hatte und damals straffrei geblieben war, baut das Link-Verzeichnis innerhalb von ein paar Tagen zusammen. Für 500 Euro, Zigaretten und Cola. Anfangs stehen die Server in den Niederlanden. Besucher der Seite können mit wenigen Klicks aktuelle Filme ansehen, die auf sogenannten Filehostern wie Duckload liegen.

    Diese Filehoster verdienen ihrerseits Geld mit Werbung - und über Gebühren für schnelle Downloads. Manche Filehoster wollen gar nicht wissen, was da auf ihren Servern gespeichert ist. Entdecken Rechteinhaber Raubkopien und melden das, werden die Dateien gelöscht. Andere Filehoster mischen selbst mit, kümmern sich um heiße Ware und das Eintragen der Links in Verzeichnissen wie kino.to. Hinter manchen verbergen sich außerdem kostenpflichtige Abo-Dienste.

    Die Mitarbeiter betreiben Filehoster auf eigene Rechnung

    Einen solchen Filehoster, archiv.to, betreibt Dirk B. selbst. Mitte 2008 erzählt er seinem Team von einem Werbepartner, der größere Geldsummen verspricht. Das Geschäft läuft, Bastian P. programmiert eine neue Version, diesmal schlägt er mehr Entlohnung heraus. Er hilft außerdem zwei Mitarbeitern, eigene Fileserver aufzusetzen, speedload.to und quickload.to. Der Server-Beschaffer Michael H. betreibt mit freeload.to und später ebase.to eigene Angebote. So verdienen sie doppelt.

    Die eigenen Filehoster platziert das Team weit oben in den Link-Listen von kino.to. Den Server verlegen sie sicherheitshalber nach Russland, der Betreiber des Filehosters Duckload stellt einen Kontakt her. Penibel achten sie darauf, dass keine russischen Filme und solche mit russischen Untertiteln ins Angebot aufgenommen werden. Sie wollen nicht die Aufmerksamkeit der lokalen Behörden auf sich ziehen.

    Ab Herbst 2008 gibt es feste Arbeitsabläufe. Die Filehoster kommen kaum hinterher: Tausende Filme, Hunderttausende Nutzer, Tendenz steigend. Die sogenannten Freischalter, von denen die Links überprüft werden, klicken sich teilweise durch 3000 Einträge am Tag. Später gibt es ein System, das zu einem Film automatisch neue Links erstellt. Beschwert sich ein Rechteinhaber, kann der beanstandete Link gelöscht werden - der Film auf dem Filehoster hingegen verschwindet nicht.

    Das System rechnet sich, und das liegt vor allem an einem Werbekunden: Firstload, einem kostenpflichtigen Usenet-Zugang. Die Firmennamen wechseln, ebenso der Firmensitz, aber dahinter stecken offenbar immer Vater und Sohn F. aus Wien. Die F.s wurden in der Vergangenheit mit dubiosen Internet-Geschäften und Abo-Fallen in Verbindung gebracht, Hunderte Anzeigen gingen ein, wie das Schweizer Fernsehen berichtete. Allein im ersten Jahr zahlt eine Blue Byte FZE 1,5 Millionen Euro für Firstload-Werbung auf kino.to, über die Verimount FZE LLC gibt es 21.000 Euro für archiv.to. In den folgenden Jahren fließt noch viel mehr Geld.

    "Zentral gesteuerte Infrastruktur"

    Auch soll Dirk B. zu einem Treffen mit seinem wichtigen Werbepartner nach Wien gereist sein, sagt einer der Beschuldigten aus. Im Prozess gegen den Server-Beschaffer erklärte die Anklage, es handele sich bei Michael H. nicht um den großen Hintermann. Das sei vielmehr F. junior. Auch bei den Nachfolgeseiten gebe es Werbung für Produkte der F.'s. Man habe es mit einer "zentral gesteuerten Internetmafiastruktur" zu tun.

    Offenbar sind nicht nur die Firmen im EU-Ausland registriert, auch F. senior hält sich wohl im Ausland auf, dem Zugriff der Justiz entzogen.

    Das System kino.to schnurrt weiter vor sich hin. Die "Bild"-Zeitung nennt ihren Lesern die "bekanntesten Adressen illegaler Anbieter". An erster Stelle: kino.to. Die Komplizen kommunizieren vor allem über Skype, Dirk B. hält die Fäden zusammen. Er organisiert Weihnachtsfeiern in Leipzig, bei denen sich das Kernteam kennenlernt. Dreimal wird gefeiert, ein Dutzend Leute kommt zum Jahreswechsel 2009/2010 zusammen.

    Die Unzufriedenheit unter den Verschwörern wächst

    Es ist wohl eine Mischung aus Überarbeitung und Vorahnung, die Dirk B. dazu veranlasst, die Verantwortung für kino.to schrittweise abzugeben. Jedenfalls offiziell, denn im Hintergrund bestimmt er weiter maßgeblich, wer was zu tun hat. So sagen es seine Helfer jedenfalls aus. Sein Schwager übernimmt die wichtigsten Aufgaben bei kino.to, das Freischalten aktueller Kinofilme. Im Mai 2010 schließt Dirk B. außerdem einen Vertrag mit Bastian P. ab, zu dem dieser laut Anklage regelrecht überredet werden muss. Der Programmierer willigt ein, kümmert sich um das Geld, bezahlt Rechnungen und Mitarbeiter.

    Dann gibt es Ärger, die Raubkopierer kopieren ihre Raubkopie-Links, der Serverbeschaffer programmiert ein Script, um die Filmlinks von kino.to automatisch bei einem eigenen Portal einzutragen. Er nennt es Streamline, es ist sein Versuch, sich unabhängiger von Dirk B. zu machen. Offenbar ist er nicht der einzige, der unzufrieden ist. Dirk B. wird wohl bedroht, jemand will das System offenlegen. Im Mai 2011 bietet jemand auf Ebay angebliche Beweise für die Identität der kino.to-Betreiber an, die Auktion verschwindet aber, bevor die GVU zugreifen kann.

    Schließlich zahlt die GVU einem Insider eine niedrige sechsstellige Summe. Der GVU-Geschäftsführer muss für den Betrag bei den Filmstudios sammeln gehen. Die Quelle packt aus, die GVU stellt Strafantrag.

    Wer ist Pedro?

    Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden übernimmt. Ermittelt wird gegen 21 deutsche Staatsbürger, Telefone werden überwacht, doch längst nicht alle Beteiligten können die Ermittler identifizieren. Einen der Computerspezialisten kennen sie nur unter dem Spitznamen Pedro.

    Am 8. Juni 2011 brechen Polizisten Türen auf, die Hauptbeschuldigten wandern für Monate in Untersuchungshaft. Bastian P., der Programmierer, rückt sofort wichtige Passwörter heraus. Die Staatsanwaltschaft wertet enorme Mengen Daten aus, sucht in dem Geflecht nach Spuren. Einen vergleichbaren Prozess hat es bis dahin nicht gegeben, allein die Dokumentation der Raubkopien nimmt mehr als 15.000 Druckseiten ein.

    Zuerst wird den niedrigen Rängen der Prozess gemacht, die nur zu gerne Geständnisse ablegen und Dirk B. belasten, um mit einer milden Strafe davonzukommen. Der Plan geht auf. Fünf Mittäter sind seit Dezember bereits verurteilt worden.

    Und die Staatsanwaltschaft gräbt weiter. Im April dieses Jahres rückten Polizei und Justiz wieder aus, diesmal, um gegen Werbevermarkter vorzugehen - ein Novum in Deutschland. Unter Federführung der Dresdner Staatsanwälte wurden zehn Objekte in fünf Bundesländern durchsucht und zwei Personen verhaftet. Die Werbeschaltungen, von denen auch kino.to profitiert haben soll, wurde nach bisherigen Erkenntnissen zentral von einem Dienstleister gebucht und verwaltet, auf den deutsche Behörden bisher allerdings keinen Zugriff bekommen haben: Der Mann sitzt im EU-Ausland.

    Die Geschichte von kino.to: Wer mit den Raubkopien verdiente - SPIEGEL ONLINE
     
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