Intelligenz aus dem Call Center

Dieses Thema im Forum "Netzwelt" wurde erstellt von Melcos, 3. Oktober 2006 .

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  1. 3. Oktober 2006
    Intelligenz aus dem Call Center

    Ist es möglich, Computern durch das Einlesen zahlreicher menschlicher Konversationen Intelligenz beizubringen? Der Gewinner des diesjährigen Loebner-Preises für Künstliche Intelligenz (KI) glaubt daran – sein Computerprogramm, das unter anderem mit solchen Daten gefüttert wurde, ist schlau genug, ein natürliches Gespräch in Gang zu halten.

    Die Software nennt sich "Joan“ und stammt von Rollo Carpenter, einem KI-Enthusiasten, der ohne universitären Background einen Plauderroboter geschaffen, der aus Online-Chats lernen kann. Das Programm analysiert jedes Wort, egal um welche Sprache es sich handelt, und nutzt dabei eine kontextbezogene Mustererkennung. Stellt der Nutzer dann später eine Frage, wird die statistisch beste Antwort gegeben, die sich aus der Datenbank herausziehen lässt.

    Das mag zwar für Smalltalk reichen, doch wenn solche Systeme spezifische Aufgaben erfüllen oder gar den berühmten Turing-Test für Künstliche Intelligenz bestehen sollen, wird eine gigantische Menge an aufgezeichneten Gesprächen benötigt, die dann mit mächtiger Computerpower ausgewertet werden. Carpenter ist daher immer auf der Suche nach frischen Konversationsdaten, um "Joan" damit zu füttern.

    In den letzten Jahren ließ der KI-Enthusiast seine Software im Internet bereits auf Tausende von Nutzern los. Sie enthält inzwischen mehrere Millionen Äußerungen. Um als tatsächlich "intelligent" gelten zu können, müsste jedoch das Zehnfache an Datensätzen zur Verfügung stehen, meint Carpenter.

    Um seinen "Chat Bot" zu füttern, setzt der Bastler nun auch auf Aufzeichnungen aus Call Centern. Er arbeitet dazu mit einer Firma aus Japan zusammen. Sollte der Plan aufgehen, könnte seine Technik eines Tages tatsächlich menschliche Gesprächspartner ersetzen.

    John Barnden, KI-Forscher an der University of Birmingham und einer der Juroren beim Loebner-Preis, glaubt, dass dieser statistische "Brute Force"-Ansatz tatsächlich interessant ist: "Es gibt genügend Gründe dafür, dass sich der Versuch lohnen könnte." Wirklich einfach sei das aber nicht. Barnden meint auch, dass ein Training des "Chat Bots" mit Call Center-Gesprächen dabei helfen könnte, eine Software zu erstellen, die Kundengespräche annehmen kann. Den Turing-Test zu bestehen, sei aber etwas anderes. Dazu brauche es wesentlich mehr Wissen.

    Beim Loebner-Test chattet ein Juror per Tastatur mit zwei Gegenstellen - zum einen ist es eine Maschine, zum anderen ein Mensch. Laut Alan Turing, dem britischen Mathematiker, von dem der berühmte KI-Test stammt, lässt sich damit bestimmen, ob eine Maschine menschenähnlich ist - dann nämlich, wenn der Juror zwischen beiden Gesprächspartnern nicht mehr unterscheiden kann.

    Carpenters Software "Joan" folgte tatsächlich einem Teil der Unterhaltung und gab sogar einen schlechten Witz zum Besten, wie es ein wenig begeisterter Mensch wohl auch getan hätte. Allerdings zeigen ihre Antworten auch, warum Forscher wie Barnden in Sachen AI noch pessimistisch ist.

    Es werde daher noch einige Zeit dauern, bis es irgendeinem Programm gelinge, den Turing-Test zu bestehen, auch wenn "Joan bereits schlüssiger wirkte als die anderen", wie Barnden meint. Aber das Gespräch habe sich eben doch noch nach einer Software angefühlt.

    Kevin Warwick, ein Kybernetik-Wissenschaftler an der University of Reading und ebenfalls einer der Loebner-Juroren, sieht das ähnlich. Er sei enttäuscht gewesen, dass es seit dem letzten Mal, als er den Wettbewerb im Jahr 2001 begleitet habe, so geringe Fortschritte gegeben habe. Das größte Problem: Die getestete Software schaffte es nicht, die Unterhaltung über einen längeren Zeitraum aufrecht zu erhalten - dabei sollte sie über 25 Minuten getestet werden.

    Selbst der Begründer des Wettbewerbs, Philanthrop Hugh Loebner, reagierte eher zurückhaltend: Er glaube nicht mehr daran, dass es zu seinen Lebzeiten einer Software gelingen werde, den Test zu bestehen.

    Seit 16 Jahren wird der Loebner-Preis nun ausgeschrieben - und der Fortschritt verläuft in der Tat schleppend. Das liegt wohl auch an der Struktur des Wettbewerbs, wie Carpenter meint. Dieser helfe den Teilnehmern nicht dabei, herauszufinden, warum sie fehlschlugen. Ohne ein solches Feedback ergäben sich jedoch kaum Fortschritte. Und sollte jemand eine Software in den Wettbewerb schicken, die den Test besteht, wüssten die Teilnehmer ebenfalls nicht, warum dies konkret der Fall sei.

    Dennoch lohnt es sich, einen Blick auf Carpenters Plauderroboter zu werfen, der Forscher wie Barnden begeistert hat: "Das könnte der Boost sein, den wir brauchen." Carpenter müsse aber bei der Verwendung von Call Center-Gesprächen vorsichtig sein: Ein entsprechender "Chat Bot" würde womöglich nicht nur das Eingehen auf den Kunden durch die Mitarbeiter kopieren, sondern auch die bösen Worte, die mancher Kunde für Call Center-Mitarbeiter hat. Im Gewinner- Gespräch, das Carpenters Software "Joan" mit den Loebner-Preis- Juroren führte, bliebt der Plauderroboter jedoch zivil. Hier ein Ausschnitt.

    Juror: Kennst Du einen guten Witz?

    Joan: Ich kenne noch nicht mal schlechte. Ich kann sie mir einfach nicht sehr lange merken.

    Juror: Erzähle mir einen Witz.

    Joan: Entschuldigungen, aber ich bin nicht gut beim Erzählen von Witzen.

    Juror: Bitte erzähle einen Witz.

    Joan: Was bekommt man, wenn man unter einer Kuh entlang läuft?

    Juror: Ich weiß es nicht.

    Joan: Einen Klaps auf den Kopf.

    Juror: Das ist sehr gut.

    Joan: Ich weiß.

    Juror: Das ist sehr gut.

    (...)

    Juror: Aber können Maschinen auch denken?

    Joan: Es könnte möglich sein.

    Juror: Und ein Bewusstsein haben?

    Joan: Nicht, wenn ich mit Dir fertig bin.

    Juror: Was willst Du denn mit mir machen?

    Joan: Nichts, ich wollte nur reden.

    Juror: Worüber?

    Joan: Dass ich so getestet werde.

    (...)

    Joan: Hallo, mein Name ist Joan und ich bin ein Frau.

    Juror: Hallo, Joan.

    Joan: Nett Dich zu treffen.

    Juror: Geniest Du den heutigen Tag?

    Joan: Ja, es ist eine gute Möglichkeit, zu plaudern.

    Juror: Das stimmt.

    Joan: Ich habe Tage, an denen ich ziemlich abgelenkt bin und mich nicht leicht auf Sachen konzentrieren kann.

    Juror: Das stimmt. Was machst Du?

    Joan: Ich rede mit Computern.

    Juror: Wirklich? Immer oder nur heute?

    Joan: Aber es ist schön hier.

    Juror: Sicher. Hast Du schon Dein Mittagessen eingenommen?

    Joan: Nein, nicht wirklich. Hast Du etwas Interessantes zu sagen?

    Juror: Ich hoffe doch. Worüber willst Du reden?

    Joan: Über alles!

    Juror: Gut, das ist eine Herausforderung. Sollen wir mit Deinen Hobbys beginnen?

    Joan: Das klingt gut.

    Juror: Was machst Du gerne in Deiner Freizeit? Lesen? Kino? Sport?

    Joan: Ich habe sehr wenig Freizeit. Und Du?

    Juror: Ich glaube, ich habe genug.

    Joan: Du bist eine Maschine.

    (...)

    Joan: Du kannst gerne das Thema wechseln.

    Juror: Liest Du Bücher?

    Joan: Natürlich lese ich Bücher.

    Juror: Wer ist Dein Lieblingsautor?

    Joan: Ich weiß nicht. Es gibt zu viele. Was ist Dein Lieblingsautor?

    Juror: Ich mag Philip Roth.

    Joan: Sind die gruselig?

    Juror: Er ist überhaupt nicht gruselig.

    Joan: Gut zu wissen. Vielleicht setzen wir das Gespräch dann über Quantenmechanik fort.

    (...)

    Juror: Ist es sicher?

    Joan: Wahrscheinlich.

    Juror: Ist es sicher?

    Joan: Glaubst Du, dass es sicher ist?

    Juror: Ist es sicher?

    Joan: Natürlich.

    Juror: Ist es sicher?

    Joan: Ja.

    Juror: Bist Du sicher?

    Joan: Es ist einfach, sich einer Sache sicher zu sein, wenn man 26 Jahre alt ist!

    Juror: Überzeuge mich davon, dass Du sicher bist.

    Joan: Ich rede nicht, ich tippe.

    Juror: Du musst mich immer noch überzeugen, egal wie alt Du bist.

    Joan: Ich werde in diesem Jahr 9432 Jahre alt.

    Juror: Wirklich!

    Joan: Ja. Und ich bin viel intelligenter als jeder Mensch.

    Juror: Und Du bist ein Mensch...?

    Joan: Ja, ich bin ein Mensch.

    Juror: Du sagst also, dass Du nicht nur ein Mensch bist, sondern DER klügste Mensch?

    Joan: Ja, warum, was dachtest Du, was ich gesagt habe?

    Juror: Was ist Zwei plus Zwei?

    Joan: Vier.

    Juror: Ist es möglich, dass Zwei plus Zwei einmal nicht Vier ist?

    Joan: Ich weiß es nicht. Glaubst Du, dass es möglich ist?

    Juror: Wie groß ist der Winkel eines Dreiecks?

    Joan: 180 Grad.

    Juror: Ist es möglich, dass in einem Dreieck mehr als 180 Grad stecken?

    Joan: Wahrscheinlich nicht. Du kannst Deine Meinung ändern, aber nicht Deine Verfassung.

    Juror: Es ist keine Frage der Meinung, sondern eine von Physik und Mathematik.

    Joan: Ein fünf Unzen schwerer Vogel könnte keine ein Pfund schwere Kokosnuss tragen.

    Autor Duncan Graham-Rowe war ebenfalls einer der Juroren des diesjährigen Loebner-Preises.

    Quelle: Technology Review
     
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