Dr. med. Praktikant

Dieses Thema im Forum "Politik, Umwelt, Gesellschaft" wurde erstellt von ChillingStream, 27. Mai 2011 .

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  1. 27. Mai 2011
    Arzt war nicht sein Beruf, er fühlte sich bloß berufen: Das Stuttgarter Landgericht urteilt über einen Hochstapler, der es mit Hauptschulabschluss bis an den Operationstisch schaffte.
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    Also, manchmal stellt der Vorsitzende Richter Fragen, bei denen Sascha St. nur nachsichtig lächeln kann. Woran er denn habe erkennen können, welche Art von Narkose ein Patient brauchte? Welche Narkosemittel er denn kenne? Fragen dieser Art.


    Der Vorsitzende bittet den Angeklagten, einen typischen Arbeitstag im Krankenhaus zu schildern. Das tut er gern, er fällt dabei ins Präsens: "Morgens schaue ich als Erstes auf den OP-Plan", erklärt Sascha St., 27, alias Dr. med. Sascha Schenk. Dann gehe er in seinen OP-Saal, bereite alles für die Narkose vor, kläre Patienten auf, lege Zugänge und intubiere, leite Narkosen ein und wieder aus. Er zählt Muskelrelaxantien und Narkosegase auf, parliert über Larynxmasken und Spritzenpumpen mit aller ihm zur Verfügung stehenden Bescheidenheit. 161 Kranke hat er behandelt, als Anästhesist und Notarzt. Die 5. Große Strafkammer des Stuttgarter Landgerichts staunt über so viel Chuzpe. Reines Glück für Sascha St. und seine Patienten, dass niemand zu Schaden kam, sagt der Oberstaatsanwalt. Die meisten Hochstapler im weißen Kittel haben wenigstens ein vermurkstes Medizinstudium zu bieten; Sascha St. verfügt über den Hauptschulabschluss.
    "Gehört denn so wenig dazu, Anästhesist zu sein, dass es nicht auffällt, wenn einer es nicht ist?", fragt der Oberstaatsanwalt. Da muss St. wieder lächeln: "Anästhesie ist eines der schwierigsten Fächer in der Medizin. Ich hatte die Voraussetzungen nicht, aber das Fachwissen."
    Für die Ausbildung hätte Sascha St. das Geld gefehlt
    Gut möglich, dass die Karriere des Dr. med. Schenk auch ein Symptom ist: für Krankenhäuser, die unter Personalnot leiden und ihre Bewerber über Internetbörsen oder Vermittlungsagenturen rekrutieren - schnell und billig. Wenngleich dem Angeklagten ein außergewöhnliches Engagement nicht abzusprechen ist.
    Sein Faible für das Rettungswesen entdeckt Sascha St. aus Böblingen mit zwölf Jahren. Der Vater, ein Dachdecker, trinkt, die Mutter hat diverse Männer. Da findet der damals noch dickliche Junge eine Ersatzfamilie beim Roten Kreuz: Blaulicht, Abenteuer, Anerkennung. Zwar hapert es in der Schule und mit der Ausbildung, weswegen er nach einem Freiwilligen Sozialen Jahr im Krankenhaus Nürtingen in Imbissketten jobbt oder bei Ebay Waren verkauft, die es nicht gibt. Sein besseres Selbst entfaltet sich woanders: als Sanitätshelfer beim Roten Kreuz in Stuttgart-Giebel. Über 1000 Rettungseinsätze rechnet er vor. Sein damaliger Chef sagt vor Gericht: "Retten war seine Welt."
    Warum dann nicht legal, als Rettungsassistent? Für die Ausbildung hätten ihm der Realschulabschluss und das Geld gefehlt, gibt Sascha St. an. Also habe er Klinikpraktika gemacht, "um mein medizinisches Wissen zu vertiefen".
    Was nun herauskommt, sorgt im Saal für Verblüffung: Offenbar kann jedermann einfach in ein x-beliebiges Krankenhaus hineinlaufen und seine Arbeitskraft als Praktikant anbieten, gratis, versteht sich. Und die Krankenhäuser greifen zu. Während seines Bildungsprogramms im Stuttgarter Katharinenhospital etwa verdient Sascha St. sein Geld an der Tankstelle gegenüber. "Wenn es im Krankenhaus etwas Interessantes gab, rief mich ein Arzt an, dann bin ich rüber und schaute mir die OP an."
    "Ich konnte es ja"
    Sascha St. darf in offene Bäuche blicken und in Krankenakten, er hält schon mal einen OP-Haken, bekommt Schlüssel, Dienstausweis, Piepser und Dienstkleidung. Er bleibt monatelang: "Nie hat einer nachgefragt, wozu."
    In grüner OP-Kluft führt er Bekannte durchs Klinikum und behauptet, dort Pfleger zu sein. Das glaubt auch seine Freundin, die er mit Stalking terrorisiert, als sie sich von ihm trennen will. Monate später wird er als Dr. Sascha Schenk eine neue Freundin zum Rendezvous auf den Hubschrauberlandeplatz der Klinik bitten.


    Dazwischen macht er ein Rettungswagenpraktikum in Sindelfingen, Praktika in weiteren Stuttgarter Kliniken und in der Notaufnahme in Pforzheim. In Mühlacker sei er nach einer Einarbeitungszeit aufgrund von Personalengpässen als Anästhesiepfleger eingesetzt worden, habe venöse und sogar arterielle Zugänge legen dürfen und das Intubieren gelernt. Der Vorsitzende ist entgeistert: "Man hat Sie als Praktikant in Venen rumstochern lassen?" Der Beschuldigte zuckt mit den Schultern: "Ich konnte es ja."
    Das lässt St. nicht ruhen. Nachts sitzt er am Computer und googelt - zum Beispiel eine Approbationsurkunde vom Regierungspräsidium Stuttgart, ausgestellt mit Stempel und Unterschrift: "Kochendörfer-Münnich". Er montiert seinen falschen Namen in das Dokument.


    Weiterlesen:
    Prozesse: Bei Google macht Dr. Schenk seinen Facharzt in Notfallmedizin - SPIEGEL ONLINE


    Da bleibt mir doch die Spucke weg, unglaublich
     
  2. 27. Mai 2011
    AW: Dr. med. Praktikant

    Tja, da sieht man mal, wie es um die Krankenhäuser und Rettungsdienste stehen, wenn sie die Bewerbungen scheinbar nur oberflächlich angucken. Ansonsten kann man froh sein, dass keiner zu Tode gekommen ist. Hart finde ich es vor allem, dass er als Notarzt arbeiten durfte.
    Zwar finde ich solch ein Verhalten sehr schlecht aber wie schon der Staatsanwalt sagte: "Man hat es ihm leicht gemacht".
     
  3. 27. Mai 2011
    AW: Dr. med. Praktikant

    Deutschland leidet stark unter dem Ärtemangel. 15% unserer Ärzte kommen bereits aus dem Ausland. Es wird einfach zu wenig ausgebildet. Die Unis platzen, haben jeden einzelnen Medizinplatz vergeben, aber es sind einfach nicht genug.

    Dazu kommt dann auch noch, dass Ärzten kein Anreiz geboten wird hier in Deutschland zu bleiben. Warum auch? Sie verdienen nicht schlecht, aber den großen Reibach macht man als Arzt auch schon lange nicht mehr. Die Zustände in Krankenhäusern schrecken zusätzlich ab.

    Welcher Assistenzarzt gibt sich schon gerne 16 Stunden Schichten...
     
  4. 27. Mai 2011
    AW: Dr. med. Praktikant

    Respekt^^

    Okay Ich find das zwar nicht gut was er gemacht hat,aber der hat einfach
    sein ding durchgezogen ,"er konnte es ja " ...

    Durch Praktika und google hat er weit geschafft
     
  5. 27. Mai 2011
    AW: Dr. med. Praktikant

    Einer der berühmtesten "Hochstapler" in der Medizin: http://de.wikipedia.org/wiki/Gert_Postel

    Für mich keine Überraschung und wieder ein Zeichen das, dass Abitur zwangsläufig überbewertet ist für die medizinische Ausbildung. Es mag sein das vielen Leuten Mathekenntnisse und Deutschkenntnisse fehlen und sie dadurch nie das Abitur erhalten werden, aber das medizinische Wissen kann ihnen gegebenenfalls sehr leicht fallen. Und wenn sie ihren Job gut machen, warum nicht. Der Arztberuf ist bei uns zu schwierig zu erreichen in Form des Studiums. Niemand der einen NC von 0,75-1,5 hat und damit sehr große Chancen auf ein Studium hat wird am Ende auch ein garantiert guter Arzt... Weder seine Leistungen in Kunst, Geschichte oder Religion werden ihn in diesem Beruf unterstützen, wozu also solch einen hohen NC fordern...
    Ist für mich eine Grundsatzdiskussion die eh kaum jemand teilen wird. Aber viele Berufe die Abitur vorraussetzen um ihn studieren zu können, könnten auch von guten Realschülern und schlechten Hauptschülern ausgeübt werden, falls ihnen das Fach liegt.

    Und laut Studien wird geschätzt das in jedem Jahrgang an der Uni 1-5% der eingeschriebenen in Wirklichkeit nicht die vorrausgesetze Schulreife besitzen und mit Fälschungen an der Uni sitzen. Doch sagen diese Studien auch, das diese 1-5% zu den besten 10% des jeweiligen Kurses gehören, da sie es wirklich wollen und sich kein scheitern erlauben können da dann vllt mal jemand nachfragt und hellhörig wird.
     
  6. 27. Mai 2011
    AW: Dr. med. Praktikant

    Ich empfinde das viel mehr als bemerkenswert und ziemlich lustig, als dass darin ein Armutszeugnis der medizinischen Versorgung, des Hochschulsystems o.ä. zu erkennen wäre.
    Ich kann aus erster Hand berichten, dass die deutschen medizinischen Fakultäten (ich kenne zwei in und auswendig, Angehörige anderer Fakultäten habe ich nie gefragt, es wurde sich allerdings auch nie beklagt) nicht überfüllt sind. Dass die Plätze alle vergeben sind versteht sich bei dem Andrang aufs Medizinstudium von selbst. In Deutschland werden weltweit (nach den USA) jährlich die meisten Mediziner ausgebildet. Absolventen pro Einwohner gibt es locker genügend, Ärzte pro Einwohner zur Zeit ebenfalls noch. Dem Ärztemangel kann man mit mehr Studienplätzen, mehr Fakultäten usw. nicht, oder nur oberflächlich etwas entgegensetzen; es sind strukturelle Bedingungen, die ihn bedingen. In diesem Sinne hast du mit den Auswanderern wahrscheinlich recht.
    Ausländische Ärzte sind in anderen Staaten übrigens viel eher die Regel, 15% in Deutschland (überprüft habe ich die Zahl nicht, dürfte aber hinkommen) sind nicht viel. Zumal die Zulassungsbedingungen für Ausländer in Deutschland mehr als beschissen sind. Bevor man mehr Studienplätze bereitstellt muss man daran was ändern.
    Die Studien will ich sehen.

    EDIT: Okidoki @ Folgepost, klingt nämlich interessant
     
  7. 27. Mai 2011
    AW: Dr. med. Praktikant

    Ich bin am suchen, wenn ich mich nicht irre wurde dieser Artikel/ die Studie auch mal hier gepostet. So bald ich sie habe editiere ich.
     
  8. 27. Mai 2011
    AW: Dr. med. Praktikant

    Er hätte sicher einen guten Rettungsassistenten abgegeben. Aber wie im Artikel erwähnt fehlten im hierzu der nötige Realschulabschluss und das nötige Kleingeld (ohne Subventionen ~7k EUR). Mir ist kein anderer Ausbildungsberuf bekannt, in dem man Geld zahlen muss, um diese Ausbildung zu erhalten. Das zeigt schon wie viel im deutschen Rettungswesen und Ärztewesen im Argen liegt.
     
  9. 27. Mai 2011
    AW: Dr. med. Praktikant

    es ist und bleibt doch so wie es schon immer war und immer ist, Schulbildung hat in den seltestenfällen damit zu tun, was jemand kann bzw könnte, wenn man ihn lassen würde...
     
  10. 27. Mai 2011
    AW: Dr. med. Praktikant

    Wenn er aber so viel drauf hat, dann kann er genau so gut auch seine Schulbildung holen und dann das Zeug machen. Eine Rettungsassistentenausbildung kostet, wenn man aber Mitglied beim DRK ist dann kriegt man die spendiert. Auch als Zivi gibt es solche Fortbildungsmöglichkeiten wenn ich mich nicht irre.
     
  11. 27. Mai 2011
    AW: Dr. med. Praktikant

    Jedes DRK-Mitglied kriegt ne Rettungsassistenten-Ausbildung spendiert? Das kostet pro Person mehrere tausend Euro! Die zahlt das DRK nicht. Und Zivildienst hat 9 Monate gedauert, am Ende sechs. Eine Rettungsassistentenausbildung dauert im Normalfall mindestens zwei Jahre. Wann soll denn ein Zivi eine solche „Fortbildung“, wie du es nennst, machen?
     
  12. 27. Mai 2011
    AW: Dr. med. Praktikant

    Natürlich reicht es nicht sich beim DRK einzuschreiben und dann werfen die mit Lehrgängen nach dir. Ich hab ein paar Freunde die so an ihren Rettungsassistenten gekommen sind, ich erkundige mich mal bei denen wie das lief und dann editier ich das hier rein.

    Wegen der Zivigeschichte:

     
  13. 27. Mai 2011
    AW: Dr. med. Praktikant

    Ärzte gibts genug. Nur die falschen. Das sind alles Fachärzte, die sich ihre Dienste teuer bezahlen lassen. Die Allgemeinärzte aufm Land und die Ärzte in Krankenhäusern sind es, die fehlen. Allerdings geht es denen eben nicht annähernd so gut wie ihren Kollegen, die es sich in den Städten gemütlich machen.
    Geld ist genug da, es wird eben nur falsch verteilt.
     
  14. 27. Mai 2011
    AW: Dr. med. Praktikant

    Voll krass! Was der Junge für ein Ego haben muss, um sowas durchzuziehen und der festen Überzeugung ist alles im Griff zu haben. Respekt!

    Der Personalmangel in Deutschland... ich schüttle da nur noch den Kopf. Es gibt ja auch kaum Jemanden der was ändert. So schlecht sind wir aber gar nicht dran. Ich habe schon von Ärzten aus Tschechien gehört die 800€ im Monat zum leben haben.

    Aus meiner Sich ist Deutschland momentan unaktraktiv für Ärzte. USA, Niederlande und Schweiz sollen viel angenehmer sein, habe ich gehört.

    Ich studier im Ausland und werde wahrscheinlich auch im Ausland arbeiten.
     
  15. 27. Mai 2011
    AW: Dr. med. Praktikant

    Zeigt aber auch, das er nur weil er einen Hauptschulabschluß hatte nicht "dumm" war. anscheinend hat er es ja draufgehabt...
     
  16. 27. Mai 2011
    AW: Dr. med. Praktikant

    Da gibt es hier eine extrem geile Dokumentation:

    Doku.bz

    Ein Postbote mit Hauptschulabschluss war Dr. Dr. der Psychiatrie und so weiter... Das Spielchen hat er über Jahre gemacht. Richtig genial der Typ. Vor allem wie der in den Interviews redet... "Über kognitiv induzierte Verzerrung mit einer stereotypen Urteilsbildung"

    Die anderen Hochstapler sind aber auch sehr gut!
     
  17. Video Script

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