KONKRET zu Althaus

Dieses Thema im Forum "Politik, Umwelt, Gesellschaft" wurde erstellt von BelaFarinRod, 26. April 2009 .

  1. 26. April 2009
    Mathias Wedel

    Der Totalausfall

    Wie der thüringische Ministerpräsident Althaus politisches Kapital aus einer von ihm totgefahrenen Skiurlauberin schlägt.

    Heute morgen hätte ich beim Einbiegen auf die Karl-Marx-Allee beinahe einen Radfahrer übersehen. Blut wäre geflossen, die Leute wären zusammengelaufen, hätten mir einen der formschönen Kandelaber am Straßenrand angewiesen, und ich hätte schon beim Aussteigen laut gedacht: , ich bin schuld.

    Oder hätte ich gesagt: Ich trage Verantwortung? Denn ich glaube, Schuld ist nicht die richtige Kategorie, um solch ein tragisches Unglück zu bewerten. So hat es jedenfalls Dieter Althaus formuliert, als er, aus schwerem Schlaf erwacht, erfuhr, daß er am Neujahrstag vermittels seiner Ski und dem für einen tödlichen Zusammenprall nötigen Tempo einen Menschen umgebracht hat. So hat er es dann, schon wieder gutgelaunt und täglich weniger Medikamente benötigend, also so gut wie gesund, der "Bildzeitung" gesagt. Die hat den Satz gedruckt.

    Bei allem, was seitdem über Althaus geschrieben, geredet, spekuliert wurde - über seinen "kurzen Prozeß", bei dem er nicht erscheinen mußte und die Öffentlichkeit nicht erscheinen sollte, sein phantomhaftes Auf- und Abtauchen, sein Rollenspiel, in dem er als Kim Jong-Il von Thüringen auftritt -, dieser Satz "Ich glaube, Schuld ist nicht die richtige Kategorie ..." wird ins kollektive Gedächtnis der Deutschen eingehen wie der Satz von den Peanuts oder "Wichtig ist, was hinten rauskommt". Denn er ist ungeheuerlich. Er ist ungeheuerlich, weil er die Spezies Mensch zum Ungeheuer macht.

    Ein Mensch, der einen anderen Menschen fahrlässig zu Tode gebracht hat, also weder Kriegsverbrecher, Massenmörder noch Amokläufer ist, fragt sich, konfrontiert mit seiner Tat, nicht nach einer passenden Kategorie. Er empfindet Schuld. Das ist so natürlich, wie er Freude oder Trauer empfinden kann. Ein Mensch, der angesichts des von ihm verursachten Todes einer Unbeteiligten, der Beata Christandl - das einzige sich bewegende Lebewesen weit und breit, auf das Althaus, das gefrorene Lächeln des notorischen Pistenrowdys auf den Lippen, zuhielt, als er mit 40 km/h die Panoramapiste "entgegen der eigentlichen Fahrtrichtung hangaufwärts" (Anklageschrift) befuhr -, ein Mensch, der nach solch einer Tat nicht Schuld, sondern eine "Kategorie" empfindet, welche auch immer, sollte, unabhängig von irgendwelchen Verletzungen am Kopfe, in einer Klinik bleiben und hätte schon lange da hingehört.

    Nun heißt dieser Mensch Dieter Althaus. Er ist, folgt man der thüringischen CDU, nicht nur der erste Bürger des Freistaats, sondern zugleich die oberste, die wissendste und unbestechlichste moralische Instanz dieses Gemeinwesens im "grünen Herzen Deutschlands". Die CDU formuliert das mit den Worten: "Dieter Althaus ist für Thüringen unersetzlich." Ein psychischer und sozialer Totalausfall, der Schuld nicht empfinden kann, ist für Thüringen unersetzlich! Und beruft sich darauf, daß er - Besonderheit österreichischer Gerichtsbarkeit - als nicht vorbestraft gilt. Denn wessen Strafe nach einer fahrlässigen Tötung nicht ins polizeiliche Führungszeugnis eingetragen ist, der kann und muß auch keine Schuld empfinden. Schuld empfinden bitte erst, wenn es die Polizei erlaubt!

    Man muß Dieter Althaus für in seiner Persönlichkeit gestört und als Politiker für ungeeignet halten. Man darf ihn sogar bedauern. Daran wird kein noch so raffinierter Wahlkampf für die "Marke Althaus" (Angebersprech aus der Erfurter CDU-Fraktionsführung) etwas ändern. Damit wäre alles gesagt -wenn sich Althaus nun nicht auch noch anschickte, aus, wie er sagt, "jenem Ereignis", also dem von ihm verursachten Unglück, politisches Kapital zu schlagen. Das fing schon damit an, daß er aus der Kategorie der persönlichen Verantwortung für den Tod der Frau Christandl, zu der er sich endlich durchgerungen hatte, eine quasi von einem inneren (vielleicht göttlichen?) Auftrag, einer Berufung getragene "Verantwortung für Thüringen" machte. Und zwar in einem Atemzug: sich verantwortlich fühlen für "jenes Ereignis" und Verantwortung tragen für Thüringen - zwei Seiten einer souveränen staatsmännischen Persönlichkeit. Vom Sterben auf der Panoramapiste zur Politik übergehen! Das ist perfide und scheußlich.

    Doch damit nicht genug! "Jenes Ereignis", das Christandl das Leben kostete, hat Althaus sogar erstarken lassen: Er ist eben ein ganz anderer Typ! Man kann sagen: Persönlich hat mit dem Zeitpunkt, als die vierfache Mutter Christandl in den Schnee fiel, eine richtig fette Glückssträhne für Dieter Althaus begonnen. Vor allem - so beschrieb er es "Bild" im bislang größten Fortsetzungsinterview des dritten Jahrtausends - sieht er nun, nachdem die Hirnschwellung abgeklungen ist, vieles "klarer", "tiefer" und "mit anderen Augen". Er ist also noch gereifter und klüger, staatsmännischer - ja, Dieter Althaus ist ein noch besserer Thüringer geworden, als er es eh schon war!

    Beispielsweise ist ihm nun aufgegangen, wie recht der Volksmund hat, wenn er plappert: "Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt." Althaus drückt es so aus: Man kann noch soviel planen und organisieren (Wahlsiege etwa), es gibt doch etwas Höheres, das sozusagen sein eigenes Süppchen mit uns kocht, das uns, einmal metaphorisch in der Sprache des passionierten Freizeitsportlers gesprochen, zwischen die Skier kommen kann - in diesem Fall diese Christandl.

    Und noch in anderer Hinsicht ist Althaus persönlich gereift und noch viel wählbarer geworden. Mußte er noch am 28. September 2008 in einer Presseerklärung beteuern, seine Sekretärin nicht (!) geschwängert zu haben, ist er jetzt in seiner katholischen Ehe mit seiner lieben Katharina noch viel enger zusammengerückt. Sie ist zu ihm in die Klinik gezogen, und die beiden haben sich eine winzige Suite geteilt. Sie hat ihm die Partei und die Presse vom Hals und - wenn der Ausdruck bei einem Hirnrekonvaleszenten erlaubt ist - den Kopf freigehalten. Lieb mit seiner Katharina zusammensein zu dürfen, diese Wunscherfüllung hatte er eigentlich auf die Zeit nach der Politik vertagt: Auf seiner Internetseite antwortet er auf die kecke Frage: "Wenn Sie einmal aus der Politik aussteigen ...?" mit "... dann hätte ich mehr Zeit für meine Frau." Kann er haben - und wird zusätzlich auch noch Landesvater bleiben!

    Das war sein größter Wunsch, dessen Erfüllung ihm "jenes Ereignis" gebracht hat: Alles, was in Thüringen kreucht und fleucht, liebt Dieter Althaus. Die Landeskinder senden ihm Gedichte und Kinderzeichnungen und Thüringer Klöße, geschwefelt und eingeschlagen in feuchte Tücher. Sie stricken Strümpfe und sammeln auf den zugigen Rhönhöhen Heilkräuter für ihn. Sie singen und beten für ihn. Nicht nur die CDU-Funktionsträger. Die jedoch vor allem: Sie werden ihre Amtssessel noch ihren Enkeln vererben dürfen.

    Und die Thüringer wissen nun, was sie bislang nur ahnten: Ihr Ministerpräsident ist kein Hallodri. Abgesehen von der Willenskraft, Selbstdisziplin und Körperbeherrschung, die man benötigt, um beim plötzlichen Auftauchen eines Pistenhindernisses weder zu bremsen noch auszuweichen (was nach Untersuchung der Staatsanwaltschaft Herrn Althaus durchaus möglich gewesen wäre, die Vorsehung ihm aber untersagte)! Da ist auch noch die Sache mit dem Helm. Althaus trug einen, verantwortungsbewußt und solide, wie man das von ihm erwarten kann. Er steht charakterlich gut da, der Althaus. Die Christandl hingegen sieht ziemlich alt aus. Sie ist der lebende Beweis dafür, wie gefährlich es ist, ohne Helm ... Ach nein, "lebend" ist zu hoch gegriffen.

    Was mit einem Menschen geschieht, der an schwerer Schuld zu tragen hat, ist erforscht und beschrieben: Er neigt dazu, die Schuld zu delegieren wie Kinder im Sandkasten: Sabine hat angefangen! Dann verdrängt er die Tat. Oder er beginnt, sie positiv in seine Biographie einzubauen. Wie der Mörder, der sagt: Wenn ich den X nicht erstochen hätte, hätte ich im Knast nicht die Tischlerlehre machen können. An diesem Punkt ist nun auch Althaus angelangt.

    So tief sinkt man, wenn nichts mehr zählt als Klassenkampf. Nach Jahrzehnten ungebrochener Alleinherrschaft und einer immerwährenden Schlacht gegen DDR-Reste, gegen die Kultur der Linken, gegen Nörgler und Miesmacher steht die CDU Thüringen in der Gefahr, bei den Landtagswahlen Ende August völlig abzukacken und die Macht zu verlieren. Nicht an irgendwen, sondern an ihren ärgsten Freßfeind: die Kommunisten. Insofern kann Althaus der Frau Christandl dankbar sein. Allein indem sie auf der Piste stand, hat sie sich, sozusagen im Ehrenamt, für seinen Wahlsieg engagiert.



    Quelle: Konkret Online


    Also ich find es ganz amüsant zu lesen und wohl irgendwie wahr.
     
  2. 26. April 2009
    AW: KONKRET zu Althaus

    Hmm, für mich ein klein wenig zu viel ironie&Satire. (sorry wenn ich es falsch deute)
    witz ist zwar ein weg mit so einem doch schon ernsten thema umzugehen, trotzdem ist es in diesem fall nicht der richtige weg wie ich denke...

    nc...

    teilweise wirklich zu geschmacklos...
     
  3. 26. April 2009
    Zuletzt von einem Moderator bearbeitet: 15. April 2017
    AW: KONKRET zu Althaus

    also ich find man muss aus jeder Situation das beste machen. Und wenn ihn die Leute wählen, weil er eben sehr menschlich auf sie wirkt, wie er mit dem thema umgeht, dann sollen sie ihn halt wählen. da kann man ihm doch nichts vorwerfen!

    Aber wie Titanic auf die Sache eingeht ist immer noch genial
    0417-althaus_01.jpg
    {img-src: https://www.titanic-magazin.de/uploads/pics/0417-althaus_01.jpg}
     
  4. 26. April 2009
    AW: KONKRET zu Althaus

    Cool, noch ein Konkret-Leser.
    Den Artikel hab ich gestern auch gelesen und es ist schon endlos deutsch, wie Althaus mit der Sache umgeht. Schuld nein, aber "moralische Verantwortung". Mit der Argumentation lassen sich nicht nur Ski-Unfälle relativieren, sondern es wird nach wie vor tausenden Zwangsarbeitern, Kommunisten und Überlebenden von Massakern die Entschädigung verweigert.
     
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